Online-Kulturkriege. Jürgen Grünwald/Creative Commons
Build Up Julie Hawke julie@howtobuildup.org Leiter des Dialogs und der Ausbildung Build Up Helena Puig Laurrari Ko-Direktorin

Soziale Medien sind eine neue digitale Triebkraft für Konflikte und führen durch verstärkte Verhaltensmuster und Dynamiken zu Polarisierung. Gleichzeitig bieten sie auch einen Ansatzpunkt für Interventionen.

Polarisierung ist ein fliessender, dynamischer Prozess, der grundlegend mit Konflikteskalation zusammenhängt. Dabei führt eine sich selbst verstärkende, sich selbst beschleunigende Spirale dazu, dass voneinander getrennte Ideologien oder Identitätsgruppen zu immer stärker distanzierten Gegnern werden. Der Prozess kann am besten durch dessen Dynamiken beschrieben werden.

Bei einer Konflikteskalation entstehen Stereotypen über die andere Seite und diese wird herabgewürdigt. Einzelpersonen oder Institutionen, die zuvor eine neutrale, abmildernde oder vermittelnde Rolle innehatten, werden zum Schweigen gebracht oder von ihrer zentralen Position verwiesen. Dementsprechend werden wichtige Kommunikations- und Interaktionswege, die für friedliche Beziehungen normal sind, abgeschnitten und das Vertrauen sinkt. Weniger Kommunikation bedeutet weniger Information, wodurch die Erwartungen über die andere Gruppe noch stärker verzerrt werden. Weil die Akteure weniger Verbindungen zu einzelnen Personen aus der anderen Gruppe haben, fällt es ihnen möglicherweise leichter, härtere Massnahmen oder Rhetorikmittel gegen diese Gruppe einzusetzen. Die Standpunkte der Gruppen verhärten und radikalisieren sich – dabei wirkt die gruppeninterne Homogenität und der Zusammenhalt zusätzlich verstärkend. Wie von einem reissenden Fluss werden Menschen und Strukturen von ihren benachbarten Positionen in der Mitte an die aussenliegenden Enden des Spektrums gespült. Polarisierung ist eine menschliche Dynamik, die lange offline geschieht, bevor sie online neue Wurzeln schlägt.

Der Fluss der sozialen Medien jedoch gräbt sich mit neu entstehenden Nebenflüssen und Strömen neue Wege durch die Landschaft. Namentlich bestehen in den sozialen Medien zwei wichtige Elemente mit Angebotscharakter, die die Polarisierung verstärken: (1) durch Profilbildung und Algorithmen wird das Engagement vorangetrieben; (2) Anstösse fördern Zwänge und Abhängigkeiten vom Engagement. Durch zielgerichtete Nachrichten und Werbung werden politische und kulturelle Informationen angepasst, meistens, um die Unterstützung oder den Zusammenhang einer Gruppe zu steigern. Durch Algorithmen verfestigen sich Weltanschauungen, indem Inhalte und Menschen in den Vordergrund gerückt werden, die die eigene Gedankenwelt widerspiegeln. Algorithmen können auch Inhalte bevorzugen, die mehr Engagement entstehen lassen. Durch das Prinzip «Aufmerksamkeit für Profit» entstehen Anreize für den auf diese Art emotional gesteigerten Inhalt, der Empörung oder Hingabe provoziert. Die überzeugende Gestaltung der Technologie lässt eine Sucht nach der Teilnahme am Polarisierungsprozess entstehen, indem sie auf diesen Kontext zurückgreift. Des Weiteren entstehen durch den Angebotscharakter in den sozialen Medien neue Polarisierungsdynamiken und Missbräuche: Rechnergestützte Propaganda, Konfliktverbreitung, Kontaktbedingungen, Hassreden, Überwachung, Rekrutierung usw.

Das derzeitige Modell der Monetarisierung von sozialen Medien schmälert die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Angebotscharakter bald verschwinden wird. Wie können wir also damit umgehen? Wir können die Profilbildung und die Anstösse für vermehrte Vernetzung nutzen. Projekte wie «The Commons» in den USA und «Maskani» in Kenia zeigen, dass dieser Angebotscharakter auch neue Zugangspunkte für Konfliktinterventionen eröffnet. Bei beiden Beispielen werden Menschen auf den Fluss und seine Strömung aufmerksam gemacht und erhalten Inputs und Anreize, um den Polarisierungsfluss in ihren eigenen Netzwerken hin zu mehr Vernetzung, mehr Vertrauen, mehr konstruktiven Gesprächen und Online-Inklusion umzukehren. Auch Entpolarisierung ist eine menschliche Dynamik, die durch solche Projekte langsam auch online neue Wege findet.

Build Up Julie Hawke julie@howtobuildup.org Leiter des Dialogs und der Ausbildung Build Up Helena Puig Laurrari Ko-Direktorin