Wandgemälde in Addis Abeba (2020). Foto: Andrea Grossenbacher
Chale Gobbett chale@cycad.id.au

Äthiopien hat seit zwei Jahren mit schweren ethnischen Konflikten zu kämpfen. Schlüsselfaktoren dieser Konflikte sind eine schwächelnde Zentralregierung, tief verwurzelte ethnische Rivalitäten, die von politischen Eliten entfacht wurden, die Verbreitung von Hassreden gegen verschiedene Gruppen in den sozialen Medien, eine hohe Jugendarbeitslosigkeit sowie ein rasanter Anstieg der Kriminalität im Allgemeinen. Als Folge dieser Konflikte verzeichnete Äthiopien für einen Grossteil der Jahre 2018 und 2019 die höchste Anzahl Binnenvertriebener. Trotz grosser Anstrengungen, diese Binnenvertriebenen wieder zu integrieren und das Problem als Ganzes anzugehen, bleibt das Verhältnis zwischen den verschiedenen Gruppen sehr angespannt.

Eine schwerwiegende Folge dieser Instabilität sind die anarchischen Verhältnisse in vielen Regionen des Landes. Rechtlosigkeit, fehlende Zentralbehörden und ethnische Konflikte führen dazu, dass viele Regionen ihre eigenen bewaffneten (ethnischen) Gruppen stellen. Viele Regionen haben eine eigene regionale Armee oder „Spezialeinheiten“, die aus dem unkontrollierten Waffenhandel heraus entstanden sind. Einige einflussreiche Regionen wie Oromia und Amhara haben sogar ständige Armeen mit mindestens 50‘000 Streitkräften. Viele Gebiete innerhalb der Regionen sind extrem instabil. In weiten Teilen der Region Amhara beispielsweise herrscht seit einem gescheiterten Putschversuch im August 2019, bei dem der Regionalpräsident von Amhara sowie weitere Regionalvertreter getötet wurden, Instabilität. Auch in Grossteilen der Region der südlichen Nationen, Nationalitäten und Völker (Southern Nations, Nationalities and Peoples, SNNP) sowie im Süden der Region Oromia ist die Lage aufgrund sehr schwerer ethnischer Konflikte und vieler Binnenvertriebener unsicher. Aufgrund der vielen regierungskritischen Stimmen und des grossen Zuspruchs, den radikale Oppositionsgruppen in West-Oromia finden, sind seit Mitte Januar weite Teile der Region vom gesamten Netzwerk abgeschottet und der Internetzugriff ist blockiert.

Die äthiopische Regierung wurde angesichts dessen von Organisationen wie Human Rights Watch beschuldigt, autoritäre Methoden anzuwenden, um gewisse Oppositionsparteien und andere Regimekritiker zu unterdrücken. Es liegen Berichte vor, wonach bei sozialen Unruhen Massnahmen wie die Abschaltung des Telefon- oder Internetnetzes, Drohungen, Gewalt und Folter gegen Regimekritiker angewendet wurden.

Angesichts dieser Umstände glauben nicht viele daran, dass die bevorstehenden Wahlen tatsächlich frei abgehalten werden. Allerdings hat das derzeitige Regime – im Vergleich zu den vorherigen – bisher am meisten Anstrengungen unternommen, um den Weg für glaubwürdige Wahlen zu ebnen. Über 150 eingetragene politische Parteien nehmen an den Wahlen teil. Unabhängig vom Ausgang der Wahlen wird es sowohl Gewinner als auch Verlierer geben. Soziale Unruhen in irgendeiner Form sind kaum vermeidbar, da nie alle Parteien zufriedengestellt werden können. Solange die Regierung ihre Kritiker unterdrückt und andere Menschenrechte verletzt, solange sie nicht darum bemüht ist, die Sicherheit im Land in irgendeiner Form wiederherzustellen, und solange es ihr nicht gelingt, freie und gerechte Wahlen abzuhalten, wird es in Äthiopien in naher Zukunft kaum Chancen auf Frieden geben.

Chale Gobbett chale@cycad.id.au