Shalom de León/Unsplash
Fastenaktion Flurina Doppler doppler@fastenaktion.ch a.i. Verantwortliche Landesprogramm Guatemala

Guatemala – «Land des ewigen Frühlings»; «Land der ewigen Straflosigkeit» nannte es Anwalt Ramón Cadena in einer Kolumne, die im Februar unter dem Titel «Irreparabler Schaden am Justizsystem» erschien und die neuste Offensive der Machtelite zum Inhalt hatte. Mehrere ehemalige Mitarbeitende der Staatsanwaltschaft gegen Straflosigkeit FECI und der 2019 aufgelösten Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit CICIG wurden im Februar verhaftet, gegen weitere wurden Haftbefehle erlassen, mehrere von ihnen gingen ins Exil.

Diese neusten Übergriffe folgen einem Muster von Einschüchterung und Verfolgung all jener, die gegen die Straflosigkeit im Land kämpfen. Ein Muster, das die Machteliten vorantreiben, um damit und mit der Kooptierung der staatlichen Institutionen, die eigenen Interessen zu sichern. Zu diesem «Pakt der Korrupten», wie die Machtelite von den Medien auch genannt wird, gehören Oligarchenfamilien, Grossunternehmer:innen, hohe Beamt:innen und das organisierte Verbrechen. Auch Generalstaatsanwältin Consuelo Porras spielt eine aktive Rolle bei der Verfolgung unabhängiger Justizoperateur:innen.

Die Auswirkungen der – inzwischen fast perfekten – Institutionalisierung der Korruption und Straflosigkeit sind für die Bevölkerung höchst bedrohlich.

Im Januar verkündete Präsident Giammattei zwar ein «historisches Wirtschaftswachstum von 7.5%» für 2021. Dieses widerspiegelt sich jedoch weder in einer Reduktion der Armut noch der Auswanderung. Die Covid-Krise traf das Land hart: Guatemala verzeichnet die höchste Anzahl Covid-Tote in Zentralamerika; Impfstoffe gab es lange Zeit nicht, dafür einen Skandal um den Verbleib von 80 Mio. USD für bestellte Sputnik-Impfungen. Wenige Wochen nach der ersten Ansteckung kam es 2020 neben der Überlastung des Gesundheitssystems auch zu einer Ernährungskrise. Die Schliessung der Märkte und andere Covid-Massnahmen hatten dramatische Auswirkungen für die Bevölkerung, von denen 70% im informellen Sektor tätig sind. Tausende zeigten 2020 mit weissen Fahnen an, dass sie Hunger leiden. Die Ernährungskrise wurde nicht durch die Pandemie ausgelöst, sondern nur verschlimmert. Schon vorher hatte Guatemala die weltweit sechs höchste Rate chronischer Unterernährung bei Kindern, jedes zweite Kind ist unterernährt. Verantwortlich dafür sind neben dem Klimawandel vor allem die auf Diskriminierung und Korruption beruhende Regierungsführung. Im November 2020 fegten zudem die Tropenstürme Eta und Iota über Teile des Landes und verschärften die humanitäre Krise.

Giammattei ist nach der Hälfte seiner Amtszeit mit einer Zustimmungsquote von 24% wenig beliebt. Dies nicht nur aufgrund des Versagens seiner Regierung im Umgang mit der Covid-Krise und seiner mutmasslichen Verstrickung in Korruptions-Skandale, sondern auch wegen den zahlreichen verhängten Ausnahmezuständen und der Missachtung indigener Rechte.

Die Sicherheitslage ist insbesondere für Frauen und Menschen, die sich für den Schutz der Umwelt oder ihrer Rechte einsetzen, prekär. 2021 wurden 652 Frauen ermordet. Bei den zahlreichen Übergriffen gegen Menschenrechtsverteidiger:innen wurden 11 Menschen ermordet. Hinzu kommen Übergriffe auf unabhängige Richter:innen sowie gegen unabhängige Medien.

Die Arbeit unserer Partnerorganisationen wird in diesem Kontext immer schwieriger. Einerseits ist die Zielbevölkerung von Fastenaktion – die indigene und ländliche Bevölkerung – besonders stark von den geschilderten Problemen betroffen. 2020/2021 mussten wir Partnerorganisationen, die von den Covid-Massnahmen und den Tropenstürmen besonders hart getroffen wurden, mit Nothilfeprojekten unterstützen. Zum anderen wird die politische Arbeit immer gefährlicher. Besonders ausgesetzt ist unsere Partnerorganisation Codeca: Seit 2018 wurden 23 ihrer Mitglieder ermordet.

Die 2006 durch einen Vertrag zwischen der UNO und Guatemala eingesetzte CICIG hatte für viele Menschen in Guatemala die Hoffnung auf Gerechtigkeit verkörpert. Die von der Schweiz mitfinanzierte Kommission erzielte während 12 Jahren Fortschritte bei der Aufarbeitung von Verbrechen und verursachte mehrere «politische Erdbeben», unter anderem 2015 mit der Verhaftung des damaligen Präsidenten Pérez Molina und der Vizepräsidentin Baldetti aufgrund ihrer Verstrickung in ein Korruptionsnetzwerk. Die Machteliten wurden gewahr, dass CICIG und FECI auch ihnen gefährlich werden könnten und begannen ab 2017/2018 aktiv die demokratischen Regeln zu schwächen und das Land von der internationalen Politik zu isolieren. 2019 kündigte Präsident Jimmy Morales – gegen den die CICIG ein Verfahren wegen illegaler Wahlkampffinanzierung eingeleitet hatte – den Vertrag mit der UNO von einem Tag auf den anderen.

Hoffnung in das Justizsystem auf nationaler Ebene verkörperten durch ihr unabhängiges Handeln weiterhin die FECI unter Juan Francisco Sandoval, die unabhängigen Richter:innen, die Menschenrechts-Ombudsstelle PDH unter Jordán Rodas und das Verfassungsgericht. Gegen sie alle intensivierten sich die Übergriffe nach der Schliessung der CICIG. Neben direkten Drohungen sind unhaltbare Strafanzeigen ein probates Mittel, um ihre Arbeit zu behindern – oder ihre Absetzung: Im April 2021 wurde das Verfassungsgericht mit Richter:innen besetzt, die alle den Machteliten dienen. Das neu zusammengesetzte Gericht wies denn auch gleich die Beschwerden gegen das umstrittene NGO-Gesetz ab, welches somit in Kraft treten konnte und es der Regierung u.a. erlaubt, NGOs zu verbieten, wenn sie die «öffentliche Ordnung stören». Im Juli wurde FECI-Chef Sandoval entlassen und ein Haftbefehl gegen ihn ausgestellt. Er lebt momentan wie zahlreiche andere verfolgte Justizoperateur:innen im Exil. Noch im Amt ist bisher Menschenrechtsombudsmann Rodas, sein Mandat läuft allerdings diesen August aus, dann wird wohl auch diese letzte Institution zur Verteidigung der Menschenrechte auf Linie gebracht.

Auch das Mandat von Generalstaatsanwältin Porras läuft dieses Jahr aus. Die Hoffnung, dass mit der Wahl ihrer Nachfolge die Rechtsstaatlichkeit wiederhergestellt werden könnte, sind jedoch gering. Unabhängige Kandidat:innen wurden schon vorgängig durch fragwürdige Entscheide der höchsten Gerichte vom Selektionsverfahren ausgeschlossen. Mit jedem Schritt der Zerstörung demokratischer Institutionen wird eine Umkehr der Situation schwieriger. 2023 ist Wahljahr. Die Frage ist, ob die Zivilgesellschaft trotz eingeschränktem Handlungsspielraum und täglichem Überlebenskampf in der Lage ist, eine Transformation einzuleiten oder ob allenfalls der «Pakt» zu bröckeln beginnt. Dies könnte beispielsweise eintreten, wenn durch die schlechte Sicherheitslage oder internationale Sanktionen wirtschaftliche Interessen gefährdet werden. Die Angst vieler ist gross, dass es dem autoritären Staat gelingt, sich auf längere Zeit zu festigen und die Repression weiter zunehmen wird. Erinnerungen an die dunklen Zeiten des bewaffneten internen Konflikts sind schon lange wieder wach.

 

Fastenaktion Flurina Doppler doppler@fastenaktion.ch a.i. Verantwortliche Landesprogramm Guatemala