Gemeinschaft San Isidro in Caquetá, Kolumbien. Fastenaktion

In Kolumbien verringern sich die Möglichkeiten der Bevölkerung, sich aktiv an der politischen Entscheidungsfindung zu beteiligen. Die Demokratie schrumpft. Aber die Zivilgesellschaft hat wichtige Forderungen zu stellen. Von den 2016 unterzeichneten Friedensabkommen mit den FARC wurden bis jetzt nur 30 % umgesetzt. Die Gewalt breitet sich wie ein Ölfleck auf dem Wasser aus, und die Straflosigkeit hat unfassbare 90 % erreicht.

Mit dem Verfassungsgerichtsentscheid von 2018, welcher die Volksbefragungen zum Schutz der Umwelt für ungültig erklärte, wurde ein Beteiligungsmechanismus abgeschafft, der verbindlich erschien. Damit verschwand ein wichtiger Raum, in dem sich die Bevölkerung «für die Erhaltung und Pflege des Lebens» aussprechen konnte. Die Konsultation in Cajamarca, bei der die Bevölkerung gegen ein Bergbauprojekt gestimmt hatte, war ein Meilenstein in dieser Hinsicht. Der Entscheid des Gerichtshofs hat aber leider zur Annulation dieses demokratischen Wegs und zur Missachtung des Bevölkerungsvotums geführt.

Nicht nur werden die Räume für Partizipation kleiner – das Risiko für Menschen, die sich zu Wort melden, Forderungen stellen, und sich für den Frieden einsetzen, wird grösser. Sie leben in Angst, werden bedroht, eingeschüchtert, und viele schliesslich ermordet. Laut Indepaz wurden im Jahr 2021 (Stand: 31. Dez.) 171 Führungspersonen der Zivilgesellschaft und 48 Unterzeichner:innen des Friedensabkommens ermordet und 96 Massaker mit 338 Opfern verübt. Im Jahr 2022 gab es bereits 36 Massaker mit 133 Opfern.

Dennoch hat die kolumbianische Bevölkerung weiterhin nach Möglichkeiten gesucht, ihre Interessen und Anliegen auszudrücken. So kam es am 28. April 2021 zu einem landesweiten Streik, der acht Wochen lang dauerte und mehr als 100 Bewegungen, Gewerkschaften, Kollektive, Organisationen, Plattformen und Gemeinschaften zusammenbrachte, um die weitverbreitete Unzufriedenheit mit der Situation zum Ausdruck zu bringen und Grund- und Umweltrechte einzufordern. Zehntausende von Menschen, insbesondere die Jugend, gingen auf die Strasse.

Umweltorganisationen (denen sich auch SIEMBRA, CENSAT und andere Partnerorganisationen von Fastenaktion anschlossen) stellten während des Streiks acht Hauptforderungen:

  1. Schutz des Lebens und der Integrität der Umweltschützer:innen.
  2. Achtung der freien, vorgängigen und auf Kenntnis der Sachlage gründenden Konsultation und der Volksbefragung als rechtmässige und legitime Mechanismen für die Beteiligung, territoriale Autonomie und Entscheidungsfindung der Gemeinschaften über das Schicksal ihrer Gebiete.
  3. Verbot des Versprühens von Glyphosat.
  4. Stopp der Entwaldung, vornehmlich im Amazonasgebiet.
  5. Ausrufung eines Moratoriums für Mega-Bergbauprojekte, einschliesslich desjenigen in Cajamarca.
  6. Verbot des Frackings.
  7. Gewährleistung des integralen Schutzes des Wassers als Gemeingut.
  8. Deeskalation bei bestehenden Megaprojekten in den Bereichen Wasserkraft, Tourismus, Schifffahrt, Häfen und Infrastruktur.

150 Organisationen und Bewegungen versuchen, den Raum für Partizipation zu sichern und arbeiten an einer Initiative für ein Gesetz (Umweltdemokratiegesetz), mit dem die Mitbestimmung bei der Rohstoffgewinnung garantiert würde. Dieser Gesetzesentwurf umfasst 58 Artikel, die einen verbindlichen Rahmen für die Mitbestimmung der Bevölkerung bei Anträgen zur Erkundung und Nutzung nicht erneuerbarer natürlicher Ressourcen schaffen sollen. Am 22. Juli 2021 wurde der Gesetzentwurf, mit der Unterschrift von 40 Abgeordneten dem Repräsentantenhaus vorgelegt. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Ob die Regierung der Initiative Folge leisten wird, ist fraglich.