Kundgebung für Frieden in Bogota, Mai 2019. PBI
Peace Brigades International (PBI) Schweiz Manuel Müller manuel.mueller@peacebrigades.ch Ehemaliger PBI-Voluntär in Kolumbien

Die Schweiz begleitet die Umsetzung des Friedensabkommens zwischen der ehemaligen Guerrilla FARC-EP (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo) und dem kolumbianischen Staat. Heute steht das Friedensabkommen kurz vor dem Scheitern. Die Schweiz und die Zivilgesellschaft stehen vor neuen Herausforderungen. 

Fünf Jahre nach dem Friedensvertrag wurde nur ein Bruchteil der Ziele erreicht und prominente Exponent:innen der FARC-EP griffen wieder zu den Waffen. Während sich ursprünglich knapp 13’000 Kämpfer:innen demobilisierten, verdoppelten die dissidenten und wiederbewaffneten Gruppen ihre Kräfte während des letzten Jahres gemäss Schätzungen auf ungefähr 5’000 Mitglieder, Tendenz steigend. Im August 2019 kündigte der ehemalige FARC-EP-Chef Iván Márquez und Parlamentsabgeordneter der neugegründeten Partei Comunes, zusammen mit rund zwanzig weiteren Parteikadern an, die Waffen wieder aufzunehmen. Überraschend war die Ankündigung nicht, denn die mangelhafte Umsetzung des Vertrages war offensichtlich. Vor allem die Punkte zur integralen Landreform und den illegalen Drogen hinken dem Zeitplan hinterher. Vor kurzem kündigte die kolumbianische Regierung unter Iván Duque, den Einsatz von Glyphosat im Kampf gegen den Kokaanbau wieder aufzunehmen. Die Verwendung des Herbizids wird sowohl von Umwelt- und Bauernverbänden wie auch von der UNO abgelehnt. Das Friedensabkommen sieht zwar eine freiwillige Substitution durch alternative Produkte vor, aber die versprochene finanzielle Hilfe dafür ist vielerorts nie eingetroffen. Auch die Sicherheit der ehemaligen Guerrillakämpfer:innen ist nicht gewährleistet. Seit der Unterschrift des Friedensabkommens 2016 wurden fast 280 ehemalige Guerrillaangehörige umgebracht. Ruiz Massieu, Missionschef der UNO in Kolumbien, bemängelt den unzureichenden Schutz: “Es gibt immer noch zu viele Bedrohungen und zu viele Tote. Solange die Sicherheit der Ex-Kombattanten nicht gewährleistet ist, sind die anderen Aspekte des Friedensabkommens nicht relevant.”

Komplexe Konfliktdynamik

Momentan werden auch so viele Menschenrechtsverteidiger:innen umgebracht wie seit Jahren nicht mehr. Dabei geht die Gefahr nicht nur von der Gruppe um Iván Márquez aus. Auch andere bewaffnete Gruppen nutzen die Gunst der Stunde, um ihre territoriale und soziale Kontrolle auszuweiten. Die Guerrilla ELN (Ejército de Liberación Nacional), dissidente Gruppen der FARC-EP und neoparamilitärische Gruppierungen füllen das Machtvakuum aus, welches die ehemalige FARC-EP hinterlassen hat und der Staat nie auszufüllen vermag. Anstatt dass Frieden einkehrt, hat sich der Konflikt transformiert. Aus einem Ein- bis Zweifrontenkonflikt entstand eine unübersichtliche und sich ständig ändernde Dynamik aus unterschiedlichsten Gruppierungen, welche einen langfristigen und nachhaltigen Frieden verunmöglicht. Dadurch sind auch die Bedrohungen für Menschenrechtsverteidiger:innen vielfältiger geworden, was deren Schutz erschwert.

Das drohende Scheitern des angestrebten Friedens hängt sicher auch mit dem ungenügenden Einbezug anderer wichtiger Akteur:innen der kolumbianischen Gesellschaft in die Friedensverhandlungen zusammen wie die Opfer des bewaffneten Konfliktes, Frauen, Jugendliche, Kinder, Indigene und Kleinbäuerinnen und –bauern. Zudem fehlt der aktuellen Regierung von Iván Duque der politische Willen zur Umsetzung des Friedensabkommens.

Herausforderungen für die Schweiz

Trotz des schwierigen Panoramas hält die offizielle Schweiz am Friedensengagement in Kolumbien fest und unterstützt Präventivmassnahmen, mit dem Ziel, die Bevölkerung vor bewaffneter Gewalt zu schützen. Konkret unterstützt die Schweiz Projekte in den Bereichen politische Partizipation, Achtung der Menschenrechte, Vergangenheitsarbeit, Beseitigung von Antipersonen-Minen und humanitäre Hilfe. Zudem unterstützt sie die Rückgabe von Land an Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, die aufgrund des Konfliktes vertrieben wurden. Die Situation der von diesen Themen betroffenen Menschen hat sich in den letzten Jahren verschlechtert. Die Gewalt gegen Anführer:innen von sozialen Bewegungen hat zugenommen, illegale bewaffnete Akteur:innen setzen weiterhin auf Landminen, Menschenrechtsverletzungen sind allgegenwärtig, wie die aktuellen sozialen Proteste in Kolumbien zeigen und die Landrückgabe läuft nur schleppend. Zudem gibt es seit letztem Jahr eine erschreckende Zunahme an Massakern. Fälschlicherweise wurde angenommen, dass diese mit dem Friedensvertrag der Vergangenheit angehören würden. Auch die Vermittlung der Schweiz im Verhandlungsprozess zwischen dem kolumbianischen Staat und der Guerrilla ELN ist momentan nicht von Erfolg gekrönt. Eine baldige Annäherung liegt in weiter Ferne, denn die kolumbianische Regierung fordert die Auslieferung der ELN-Delegation der letzten Verhandlungen von 2019, die seither in Kuba festsitzt.

Zivilgesellschaft uneinig

Herausforderungen gibt es auch für die Zivilgesellschaft, die über die schleppende Umsetzung des Friedensabkommens zunehmend frustriert ist. Die aktuellen regierungskritischen Proteste fordern darum unter anderem auch konsequent dessen Umsetzung. Während einige kolumbianische Nichtregierungsorganisationen weiterhin am Abkommen festhalten, der Übergangsjustiz Berichte zu Menschenrechtsverletzungen einreichen und die Wahrheitskommission unterstützen, haben andere resigniert und setzen ihre Ressourcen in eigenen, unabhängigen Projekten ein. Die internationale Zivilgesellschaft steht zwar weiterhin hinter dem Friedensvertrag, ist jedoch zunehmend besorgt über dessen mangelnde Umsetzung.

Insbesondere für Menschenrechtsverteidiger:innen ist internationale Aufmerksamkeit von entscheidender Bedeutung, damit sie ihre Arbeit in Sicherheit weiterführen können. Daher ist es angesichts der zahlreichen Herausforderungen umso wichtiger, dass die Schweiz und die Zivilgesellschaft ihr Engagement in Kolumbien entschieden fortsetzen und so zu einem dauerhaften und nachhaltigen Frieden in Kolumbien beitragen.

 

 

 

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