«City of Nobody», 2020. Ximena Lama

«Warum mussten die Frauen, die am meisten unter dem Krieg zu leiden hatten, schweigend zuhören, während die Männer über den Frieden verhandelten?»

Diese Frage warf Friedensnobelpreisträgerin Leymah Gbowee im Jahr 2011 auf.

Die Frauenrechtlerin ist unter den Ehrengäst:innen der virtuellen Veranstaltung «Centering Care in Women, Peace and Security: Reflections from Civil Society in the Context of the Fourth Swiss National Action Plan 1325» am 21. September, bei der Care-Arbeit im Mittelpunkt steht und die Hauptergebnisse des Projekts «Civil Society Contribution to the implementation of the Swiss NAP 1325» (Beitrag der Zivilgesellschaft zur Umsetzung des Schweizer NAP 1325) präsentiert werden.

Das von der Schweizer Plattform für Friedensförderung KOFF gemeinsam mit FriedensFrauen Weltweit und der feministischen Friedensorganisation cfd koordinierte Projekt stellt sicher, dass die Erfahrungen der Zivilgesellschaft in die offizielle Umsetzung des Nationalen Aktionsplans der Schweiz zur UN-Resolution 1325 (NAP 1325) einfliessen.

Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg

Die drei Friedensorganisationen, welche die Zivilgesellschaft repräsentieren, und die feministischen Friedensaktivist:innen, die auf die Umsetzung der UNSCR 1325 drängen, haben ein breiteres, positives Verständnis von «Frieden», anstatt den Begriff nur auf die Abwesenheit von Krieg oder direkter physischer Gewalt zu beschränken. Positiver Frieden heisst, sich täglich lokal für den Frieden und gegen strukturelle oder kulturelle Gewalt einzusetzen.[1]

Nicht selten richten Länder des globalen Nordens ihren NAP 1325 an ihrer Aussenpolitik aus und vergessen, welche Bedeutung und Chance diese Agenda für innenpolitische Angelegenheiten darstellt. Diese Haltung lässt auf ein koloniales Verhaltensmuster schliessen, das dazu beiträgt, «ein Image des friedlichen Nordens aufrechtzuerhalten, der sich zur ‹Rettung› des globalen Südens verpflichtet fühlt (paradoxerweise greift der Norden für seine Friedens- und Sicherheitspraktiken auf Militarismus zurück).»[2]

Wie die meisten dieser Länder weigert sich die Schweiz, den Schwerpunkt des NAP auf die Innenpolitik auszuweiten und ist, genau wie die anderen, weit davon entfernt, innerhalb der eigenen Grenzen positiven Frieden zu gewährleisten. Da bei Budgets und politischen Strategien keine Trennung gilt, sollten auch die Innen- und Aussenpolitik als zusammenhängend betrachtet werden. Deshalb sollte die Agenda 1325 nicht nur als einfaches Instrument zur Förderung der Partizipation von Frauen verstanden werden, sondern als ernst zu nehmende Leitlinie für eine transformative Politik in der Schweiz und im Ausland.

Kein Frieden ohne Care-Arbeit

Weltweit brachte die Pandemie die Missstände und Missverhältnisse unserer Gesellschaften ans Licht. Frauen waren im Jahr 2020 besonders stark von den Folgen der Pandemie betroffen, etwa durch zunehmende Menschenrechtsverletzungen, häusliche Gewalt, strukturelle Unterdrückung, Verarmung sowie die Vervielfachung ihrer familiären Pflichten. Die Krise hat die Bedeutung der Frauen, die Tätigkeiten im Bereich der Care-Arbeit ausüben und dadurch das Gefüge unserer Gesellschaft zusammenhalten und täglich den Frieden fördern, noch deutlicher aufgezeigt. Trotz ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedeutsamkeit[3] bleiben Care Worker unsichtbar, sind gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Unsicherheiten ausgesetzt und werden bei Beratungs- oder Entscheidungsprozessen oft ignoriert.

Eine intersektionale feministische Friedenspolitik – neben einem Ansatz, der Fürsorgende und ihre Arbeit als friedensfördernd anerkennt und in den Mittelpunkt stellt – ist wesentlich, um (in aller Bescheidenheit) unsere globalen Herausforderungen zu meistern.

Es ist an der Zeit, zu handeln und füreinander zu sorgen.

 

[1] Aus dem cfd-Glossar (21.06.2019): Strukturelle Gewalt umfasst Gewalt, die von gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen ausgeht und «in das System eingebaut» ist (Unterdrückung bestimmter Gesellschaftsgruppen, ungleiche Chancen und Bedingungen aufgrund von Systemen wie Apartheid, Kolonialismus usw.). Kulturelle Gewalt bezieht sich auf Aspekte einer Gesellschaft oder Kultur, die unmittelbare, strukturelle Gewalt legitimieren (z. B. Billigung von Gewalt gegen bestimmte Gruppen, Rollenbilder, Trans- und Homophobie, Ableismus, das Gefühl von Überlegenheit durch Ideologien wie Rassismus, Militarismus oder Chauvinismus). Mitunter werden auch Religionen, Werte und Mentalitäten zur Rechtfertigung kultureller Gewalt herangezogen. Kulturelle Gewalt fliesst auch in die Sprache, Kunst, Wissenschaft, Justiz, Medienwelt und Bildung ein.

[2] Toni Haastrup und Jamie J. Hagen (2020): Global Racial Hierarchies and the Limits of Localization via National Action Plans, New Directions in Women, Peace and Security, Hrsg. Soumita Basu und Paul Kirby, Bristol University Press.

[3] In der Schweiz wird jährlich – vorwiegend von Frauen – unbezahlte Care-Arbeit im Wert von 248 Milliarden Franken geleistet. Das ist mehr als die Bundesregierung, Kantone und Gemeinden im selben Jahr insgesamt ausgeben.