Strassenkunst in Bogotá, Kolumbien. Creative Commons/ Juan Cristobal Zulueta

Nach vierjährigen Verhandlungen zwischen der Guerilla der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee (FARC-EP) und der kolumbianischen Regierung in Havanna ist am 1. Dezember 2016 das Friedensabkommen in Kraft getreten. Dies, nachdem ein erster Vertrag vom kolumbianischen Volk in einem Referendum abgelehnt worden war, was die Konfliktparteien zu Nachverhandlungen zwang. Nach mehreren gescheiterten Friedensverhandlungen in der Vergangenheit ist dies ein historischer Moment für Kolumbien und die Erwartungen sind entsprechend hoch.

Das ambitiöse Abkommen sieht eine Reihe von Massnahmen vor, um die in Havanna verhandelten Punkte umzusetzen. Wichtige Themen sind die Rechte der Opfer, der illegale Anbau von Drogen, die landwirtschaftliche Entwicklungspolitik, die politische Partizipation der FARC und die Beilegung des bewaffneten Konflikts, welche einen permanenten Waffenstillstand beinhaltet. Im Folgenden werden einige der zunächst anstehenden Herausforderungen des kolumbianischen Kontextes beleuchtet.

Bezüglich der Wiedergutmachung an die Opfer des Konfliktes wurden schon vor dem Abschluss der Verhandlungen Massnahmen getroffen. Im Rahmen des Gesetzes über die Opfer und die Landrückgabe haben seit 2012 bereits über sechs Millionen Opfer Wiedergutmachungsmassnahmen erhalten und es wurden rund 194’900 Hektaren Land zurückerstattet. Gleichzeitig betreibt die Regierung aber eine Investitionspolitik, bei der diese marginalisierten Bevölkerungsgruppen durch agroindustrielle Grossprojekte und intensiven Rohstoffabbau in Bedrängnis geraten. Dies führt dazu, dass die Ungleichheit zwischen arm und reich in Kolumbien – sowieso schon eine der höchsten weltweit – noch verstärkt wird.

Des Weiteren polarisiert der Friedensprozess die kolumbianische Öffentlichkeit. Anders als in den 90er Jahren war der bewaffnete Konflikt mit der FARC in den letzten Jahren für die Bevölkerung in den Grossstädten kein Teil der Alltagsrealität mehr – für Teile der Landbevölkerung aber schon. Der öffentliche Rückhalt für die Beweggründe der FARC ist nach tausenden von Entführungen und der Finanzierung ihrer Aktivitäten durch den Drogenhandel kaum mehr vorhanden. Damit die Eingliederung der ehemaligen KämpferInnen ins politische und zivile Leben gelingt, braucht es jedoch die Unterstützung der breiteren Bevölkerung. Deshalb werden weitreichende Informationsbestrebungen von Behörden, Schulen, zivilgesellschaftlichen sowie internationalen Akteuren über die Vorteile des Friedensprozesses weiterhin – und angesichts des Abstimmungsresultats umso mehr – notwendig sein.

Sogar bei einer reibungslosen Integration der FARC ins zivile Leben ist Vorsicht geboten, was die Erwartungen an eine verbesserte Sicherheitslage betrifft. Neben der weiterhin bestehenden kleineren Guerilla Ejército de Liberación Nacional (ELN), mit der nun am 6. Februar Friedensverhandlungen beginnen sollen, agieren im ganzen Land zahlreiche bewaffnete Gruppen, die zu grossen Teilen aus der Demobilisierung paramilitärischer Gruppen hervorgingen. Diese sind im lukrativen Geschäft mit der Cocapflanze tätig und sind grösstenteils für die hohe Kriminalitätsrate verantwortlich. Schätzungen gehen davon aus, dass die FARC zuletzt nur noch über etwa 7000 Kämpfende verfügte. Nicht zuletzt hatten sie bereits Monate vor dem Abschluss der Verhandlungen in Havanna einen einseitigen Waffenstillstand ausgerufen.

Die ersten Wochen und Monate des Demobilisierungsprozesses, der bereits im Gange ist, werden zeigen, wie viele der FARC-Kombattanten sich definitiv demobilisieren und ein ziviles Leben beginnen werden und wer sich anderen bewaffneten Gruppen anschliessen wird. Der Prozess der Demobilisierung der Paramilitärs in den 2000er Jahren hat gezeigt, dass der Anreiz zu Zweiterem gross ist, wenn die angebotenen Integrationsmassnahmen weniger attraktiv sind. Der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte hat im Dezember 2016 alarmierende Worte über die Gefährdung des Friedensprozesses gefunden, weil die Zonen, welche für die Entmilitarisierung der FARC vorgesehen sind, noch nicht über notwendige Infrastruktur wie sauberes Trinkwasser, sanitäre Anlagen und gesundheitliche Versorgung verfügten. Auch angesichts dieser Umstände liegt die Befürchtung nahe, dass sich KämpferInnen nicht entwaffnen werden.

Frühere Prozesse haben zudem gezeigt, dass die demobilisierten Kombattanten Gefahr laufen, bedroht und umgebracht werden. Nachdem die Regierung und die FARC 1984 ein Waffenstillstandsabkommen vereinbart hatten, wurde die Patriotische Union als politischer Arm der Guerilla gegründet. Nach anfänglichen Erfolgen in kommunalen Wahlen wurden in den folgenden Jahren an die 3’000 Parteimitglieder meist durch paramilitärische KämpferInnen und teilweise in Koordination mit staatlichen Akteuren ermordet. Diese Erinnerung ist den heutigen FARC-Mitgliedern überaus präsent. In der Tat haben der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte und NGOs den Umstand kritisiert, dass die Gewalt gegenüber MenschenrechtsverteidigerInnen und sozialen Führungspersonen, auch von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die der FARC nahestehen, im zweiten Halbjahr 2016 dramatisch zugenommen hat. Dies wird unter anderem darauf zurückgeführt, dass sich die anderen bewaffneten Gruppen im Hinblick auf den Abzug der FARC neue Einflussgebiete erkämpfen. Zwar verfügt der kolumbianische Staat über ein aufwändiges System von Schutzmassnahmen für Personen, die aufgrund ihrer vergangenen oder aktuellen politischen Tätigkeiten um ihr Leben fürchten müssen, doch die Wirksamkeit dieser Massnahmen ist sehr beschränkt. Die historische Abwesenheit des Staates in den ländlichen Gebieten sowie komplizierte bürokratische Abläufe zwischen den einzelnen Behörden und Korruption machen es fast unmöglich, präventive Schutzmassnahmen wirksam und vor allem rechtzeitig umzusetzen.

Vor diesem Hintergrund ist es schwierig vorauszusagen, ob die ehrgeizigen Pläne zur Entmilitarisierung und Reintegration der FARC gelingen werden. Immerhin soll die FARC ihre Kombattanten schon seit geraumer Zeit auf diesen Prozess eingestimmt haben. Auch die Behörden, die auf Erfahrungen aus früheren Prozessen zurückgreifen können, haben ihre Vorbereitungen schon viele Monate vor der Unterzeichnung des Abkommens begonnen. Das Friedensabkommen in Kolumbien ist nur ein Schritt eines langen und steinigen Prozesses. Ob dessen Umsetzung tatsächlich zur Transformation der Konfliktursachen beitragen kann, wird sich in den nächsten Jahren zeigen.