Alanis Bellos Forschungarbeit in Kolumbien. Alanis Bello
University of São Paulo Alanis Bello Ramírez alanisupn@gmail.com Doktorandin Graduate Institute Gina Marcela Wirz gina.wirz@graduateinstitute.ch Doktorandin

Feministische und queere Theorien haben hervorgehoben, wie wichtig es ist, bei der Wissensproduktion den Ort zu problematisieren, an dem das Wissen offenkundig wird. Für Friedensförderungsprozesse bedeutet das: Wo entsteht der Frieden? Welche Institutionen tragen zur Wissensproduktion bei? Welche Akteur:innen sind an der Gestaltung beteiligt? Wir wollen in diesem Sinne feministische Perspektiven vorschlagen, um über die Forschungsethik dieser Prozesse im globalen Süden zu reflektieren.

In Ländern wie Kolumbien ist dieses Forschungsgebiet nicht frei von der Reproduktion von Machtverhältnissen und Wissensbeziehungen. In diesem Artikel stellen wir die Logik des epistemischen Extraktivismus auf den Prüfstand. Um sich als solche zu qualifizieren, extrahieren Forschungspraktiken Informationen von Kriegsopfern – ohne sich für sofortige Verbesserungen oder günstigere Lebensbedingungen auszusprechen – und sehen die Opfer als reine «Auskunftspersonen», deren Berichte und Erfahrungen lediglich als Input für theoretische Experimente dienen.

Doch Reflexivität beschränkt sich nicht auf die Identität der Forscherin oder des Forschers, die Anerkennung von Privilegien oder ein vertrauliches Bekenntnis ihrer bzw. seiner abgrenzenden sozialen Marker. In unseren Studien befassen wir uns beispielsweise mit folgenden Fragen: Wie reflektieren wir über das Forschungsdesign? Welche Zusagen und welchen Austausch wollen wir in den Gemeinschaften fördern, die wir analysieren? Wie werden Feldforschung, Methodenauswahl und wissenschaftliche Abhandlungen geplant? Mit diesen Überlegungen bewirken wir eine epistemische, ethische Wende in der Sozialforschung, die eine ernstgemeinte Verpflichtung gegenüber den Gemeinschaften eingeht.

Die indische Anthropologin Richa Nagar (2019) bezeichnet diese Art von Reflexivität als «situated solidarity» (situierte Solidarität). Das bedeutet, dass eine Forscherin oder ein Forscher nicht nur theoretisch über den Ort der Verlautbarung reflektiert, sondern es im Rahmend der Arbeit auch wagt, über die geopolitischen Ungleichheiten nachzudenken. Richa Nagar fordert uns auf, zu hinterfragen, inwiefern die Forschung über Gemeinschaften im globalen Süden neue Theorien hervorbringen und Friedensprozesse stärken kann.

Feministische Forschungsethik heisst, sich für die von Krieg betroffenen Gemeinschaften einzusetzen, mit ihnen zu koexistieren, vor allem aber auch Wissen aufzubauen, das Kolonialismus, Sexismus und Rassismus nicht reproduziert. Friedensforschung erfordert Verantwortung und Fürsorge für die Opfer. Dies beinhaltet die Einführung von Wissenspraktiken, die das Mitspracherecht der Gemeinschaften nicht ignorieren, ihre Handlungsfähigkeit anerkennen und gemeinsam mit ihnen Frieden aufbauen, anstatt ihnen etwas überzustülpen.

Die feministische Friedensforschung verlangt, dass sich die Forschenden der Herausforderung stellen, mit der Tradition des «zurückhaltenden Zeugen» oder des distanzierten Beobachters, der sich heraushält und Informationen für die verschiedenen akademischen Disziplinen extrahiert, zu brechen. Bei diesem Ansatz setzen wir uns für eine engagierte, kooperative, umsichtige und horizontale Forschungsagenda in der Friedensforschung ein.

 

 

 

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