Antananarivon, Madagaskar. Andrea Grossenbacher/swisspeace
KOFF/swisspeace Andrea Grossenbacher andrea.grossenbacher@swisspeace.ch Program Officer

Das Buch Alles über Liebe verspricht neue Sichtweisen. Und tatsächlich brachte mich bell hooks’ Vorstellung von einer «proaktiven neuen Ethik für eine Gesellschaft der Lieblosigkeit» zum Nachdenken: Was würde sich verändern, wenn eine «Ethik der Liebe» die Basis für die internationale Zusammenarbeit bildete? Wie wären Organisationen strukturiert? Wie würde sich die Arbeitskultur verändern? Welche Auswirkungen hätte dies auf Leistung, Ergebnisse und vor allem auf das Wohlbefinden?

Mitunter sind die Arbeitsbedingungen in der internationalen Zusammenarbeit schwierig. Grund dafür sind die herausfordernden Kontexte, in denen die Beschäftigten leben und arbeiten, etwa häufige Reisen, der Druck, Mittel für die Finanzierung von Projekten aufzubringen, ein instabiler, hart umkämpfter Arbeitsmarkt und schrumpfende Ressourcenpools. Zudem beeinflussen Machtdynamiken wie (Neo-)Kolonialismus, die Weisse-Retter-Industrie, patriarchale Strukturen, Kapitalismus, Rassismus, Sexismus, Homo- und Transphobie usw. die Arbeit der sogenannten «internationalen Gemeinschaft». Dadurch zementiert das System strukturelle und kulturelle Gewalt in der eigenen Gemeinschaft und darüber hinaus und spaltet Menschen, anstatt sie zu verbinden. Aus vielerlei Gründen wird dieser Missstand auf individueller und systemischer Ebene nicht behoben. Zwar werden Richtlinien für das Wohlbefinden von Mitarbeitenden verfasst, auf die man sich bei Bedarf berufen kann, doch dies erfordert eine individuelle, proaktive Initiative. Mit anderen Worten, es fehlt die Verinnerlichung dieser Richtlinien in unserer Arbeitskultur. Die Folge ist, dass die Menschen gestresst, verbittert, zynisch oder unglücklich werden. Zynismus scheint tatsächliche eine zwingende Bewältigungsstrategie zu ein und Burnouts sind an der Tagesordnung, was sich auf die mentale, emotionale und physische Verfassung der Fachkräfte und auf ihre Zusammenarbeit mit internen und externen Partnern niederschlägt. Nicht zuletzt führen solche Umstände zu Frustration und einer Entfremdung zwischen dem humanitären Personal und den Menschen, mit denen oder für die sie tätig sind.

In einem solchen Umfeld braucht es Mut, um bei internen und externen Arbeitsbeziehungen offen und ehrlich Fürsorge, Hingabe, Respekt, Engagement und Vertrauen zu zeigen – für bell hooks alles Elemente, die Liebe ausmachen. Sie erkennt in der Arbeitswelt, wie fast überall in der modernen Gesellschaft, einen Mangel an Liebe, und die Ermutigung dazu, sich den Gegebenheiten der Lieblosigkeit anzupassen. Als Lösung schlägt sie eine «Ethik der Liebe» vor. Der Mut, den es kostet, sich der «Ethik der Liebe» zu verschreiben, lohnt sich. Liebe bildet die Grundlage für den Aufbau von Gemeinschaften. Sie lehrt uns Grosszügigkeit und die Bereitschaft, Opfer zu bringen. Dies erinnert uns an unsere gegenseitige Abhängigkeit. Die Entscheidung für die «Ethik der Liebe» bringt uns also den Werten näher, die uns bei unserer Tätigkeit in erster Linie leiten sollten. hooks sieht die Liebe als Handlung, die durch die Intention und den Willen beeinflusst wird und die Folgen hat. Für sie ist Liebe mehr als ein Gefühl, über das wir keine Kontrolle haben, sondern wir können selbst die Verantwortung für die Liebe übernehmen. Die Prinzipien der «Ethik der Liebe» sind auch für jegliche humanitäre Arbeit von Bedeutung: Wir sollten Fürsorge, Respekt, Wissen, Integrität und Bereitschaft zur Zusammenarbeit demonstrieren.

Natürlich fliessen auch unsere jeweiligen Identitäten und Positionalitäten in unsere humanitäre Arbeit ein. Ihre Wurzeln sind jedoch die Werte, an denen wir uns orientieren. Während wir ersteres nicht verändern können, liegt letzteres in unseren Händen. Ich als Individuum kann selbst definieren, welche Werte mich in meinem Leben und bei meiner Arbeit leiten, wie ich sie pflege und anwende. Alles über Liebe von bell hooks gibt uns Anregungen dazu. Auf dieser Grundlage können wir Gemeinschaften aufbauen und Institutionen zur Verantwortung ziehen, damit sie Strategien für ein liebevolleres Umfeld entwickeln und verbreiten.

KOFF/swisspeace Andrea Grossenbacher andrea.grossenbacher@swisspeace.ch Program Officer