Derivative von Creative Commons “1/28/2020 Healing Afghanistan Through Art” by U.S. Institute of Peace (https://www.flickr.com/photos/usipeace/49483708582/)
swisspeace Dr. Nick Miszak nick.miszak@swisspeace.ch Senior Program Officer (Analysis & Impact)

Die Einnahme Kabuls durch die Taliban am 15. August 2021 zwingt uns, die Friedensförderung in Afghanistan während der letzten 20 Jahre kritisch zu hinterfragen. Friedensfördernde Aktivitäten wurden oft fragmentiert umgesetzt und viele NGOs verfingen sich in mühseligen Rivalitäten und Wettstreit. Gemäss einer swisspeace Analyse von 2019 über die Akteure der Friedensförderung in Afghanistan, entwickelten sich viele NGOs in einem Umfeld das von Konkurrenzkampf, Spender:innen und einer projekt-orientierten Arbeitsweise geprägt war; Die Tätigkeiten beschränkten sich oft auf kurzzeitige Projekte, die keinen klaren Bezug zu einer längerfristigen Strategie für Frieden aufwiesen[1]. Friedensfördernde Aktivitäten wie zum Beispiel Bildung, Konfliktlösung und Konsultationen auf lokaler und nationaler Ebene sowie in verschiedenen geographischen Regionen, wurden wenig koordiniert. Zudem wurden die Projekte oft zweigleisig umgesetzt, was den Aufwand für manche Aktivität verdoppelte.

Ab 2018 konzentrierte sich die Friedensförderung stark auf «Negativen Frieden», ein Konzept berühmt geworden durch Johan Galtung. Dementsprechend engagierte sich die US-Regierung vermehrt für einen politischen Prozess mit den Taliban. Das Hauptziel dieses Vorgehens bestand in einem sicheren Rückzug des amerikanischen Militärs und der Eingliederung der Taliban in einen administrativen Apparat. Dies sollte ein Ende des bewaffneten Konfliktes in Afghanistan zur Folge haben[2]. Gemäss diesen Zielen fokussierten sich viele friedensfördernde Aktivitäten auf Konsultationen und Dialog auf der staatlichen Ebene, um Bereiche zu identifizieren, die in den Verhandlungen über einen neuen politischen Aufbau nicht aufs Spiel gesetzt werden durften. Zu diesen Bereichen gehörten Grundrechte, im speziellen Frauenrechte, sowie Änderungen an der Verfassung. Weitaus seltener wurden Diskussionen darüber geführt, wie in Afghanistan ein positiver Frieden auf der lokalen, alltäglichen Ebene entstehen könnte, wo Versöhnung die Grundlage für eine friedlichere, soziale und politische Realität bildet.

Ein noch grösseres Problem stellte die relative Abwesenheit von friedensfördernden Aktivitäten dar, die sich explizit auf die Rolle der religiösen Zivilgesellschaft konzentrierten. Religiöse Persönlichkeiten in Afghanistan üben einen starken Einfluss auf Fragen von Moral, Ethik und Politik aus. Trotzdem schenkten internationale Akteure der Rolle von religiösen Führer:innen in der Friedensförderung wenig Beachtung, obschon die Zivilgesellschaft als zentraler Bestandteil der post-2001 Friedensprozesse verstanden wurde. Der Grund dafür bestand teilweise darin, dass die religiösen Autoritäten in Afghanistan nicht wie NGOs aufgebaut, sondern oftmals informell organisiert und daher unsichtbar für westliche Spender:innen sind. Zudem kann es sein, dass die Werte der religiösen und säkularen Gesellschaften miteinander im Konflikt stehen[3].  Nichtsdestotrotz wären die Auswirkungen auf die Friedensförderung wohl grösser gewesen, wenn die Rolle der religiösen Zivilgesellschaft anerkannt und aktiv miteinbezogen worden wären. Nun, mit den Taliban an der Macht, ist der Raum für Friedensförderung womöglich so oder so vollständig verschwunden.

 

[1] http://www.acbar.org/upload/1471243125467.pdf

[2] https://www.cfr.org/article/what-know-about-afghan-peace-negotiations

[1] https://blogs.lse.ac.uk/religionglobalsociety/2018/09/peacebuilding-in-afghanistan-the-role-of-religious-civil-society/

swisspeace Dr. Nick Miszak nick.miszak@swisspeace.ch Senior Program Officer (Analysis & Impact)