Verwendung des Bildes mit freundlicher Genehmigung von ArtLords
KOFF Anna Leissing Anna.Leissing@swisspeace.ch Leiterin der KOFF-Plattform

Persönliche Reflexion

Was lernen wir aus Fehlern, aus der Erfahrung des Scheiterns, aus Schwierigkeiten, Hindernissen und Umwegen? Diese Frage ist zentral für die Friedensförderung. Eine ehrliche Auseinandersetzung mit dieser Frage ist eine Voraussetzung für Innovation und Weiterentwicklung. Sie ist ebenso wichtig für einen transparenten und realistische(ren) Umgang mit Erwartungen in Friedensprozessen. Und sie bietet Hand, das neoliberale Verständnis von Kontrolle und Machbarkeit kritisch zu hinterfragen.

Die Frage kann auf verschiedenen Ebenen gestellt werden: Sie ist relevant für nationale oder internationale Friedensprozesse, die leider viel zu häufig nicht das gewünschte Ergebnis bringen oder gebracht haben. Guatemala, Kolumbien, Syrien und Afghanistan sind Beispiele. Die Frage stellt sich in Friedensbemühungen an der Basis, wenn Projekte und Initiativen nicht funktionieren oder (unbeabsichtigt) negative Auswirkungen haben. Schliesslich ist sie zentral für Organisationen, Kollektive und Einzelpersonen, die manchmal an den Herausforderungen der Friedensarbeit verzweifeln oder gar zerbrechen. Auf die letztgenannte Ebene möchte ich im Folgenden anhand eines persönlichen Beispiels eingehen.

Vor einigen Jahren hatte ich einen Vertrag für die Evaluation eines Friedensprojekts in Kabul, Afghanistan unterschrieben. Ein grosses Interesse für dieses Land, der spannende Ansatz im Projekt und die Ambition, sowohl meinen geographischen Horizont als auch meine Erfahrungen in der internationalen Friedensförderung zu erweitern, waren die treibenden Faktoren hinter meiner Bewerbung auf dieses Mandat. Entsprechend war ich stolz und aufgeregt, als ich die Zusage bekam.

Als es dann um die konkrete Planung meiner Reise ging, stellten sich Fragen: Welche Unterkunft ist sicher? Wie komme ich an vertrauenswürdige Informationen? Sollen wir ein kugelsicheres oder normales Auto mieten? Wen würde ich im Notfall kontaktieren? Wie verhalte ich mich bei einer Entführung? Was sollte im Todesfall mit meinen Überresten geschehen? Schnell merkte ich, dass mir bei den aufkommenden Fragen unwohl wurde. Ich schlief immer schlechter, hatte Albträume, in denen ich in einer Rakete nach Afghanistan katapultiert wurde. Auch mein Umfeld reagierte besorgt. „Ganz allein willst du in dieses dir unbekannte Hochrisikogebiet reisen?“ Meine emotionale Verfassung wurde schlechter und schlechter. Dennoch fuhr ich fort mit den Vorbereitungen, organisierte Flug, Hotel und Visum. Denn ich hatte A gesagt, also musste ich jetzt auch B sagen. Ich hatte einen Vertrag unterschrieben. Ich wollte vorankommen in meiner beruflichen Laufbahn. Ich wollte es schaffen.

Es dauerte mehrere Wochen und zahlreiche Gespräche mit nahestehenden Menschen, einer Sicherheitsexpertin und einer Psychologin, bis ich realisierte, dass ich aus der Rakete aussteigen konnte – und musste. Es handelte sich um mein Leben und meine Gesundheit. Also sagte ich ab, trotz Vertrag und Ehrgeiz. Das brauchte zwar Mut, doch das unmittelbare Gefühl, mein Leben wieder zurückzuhaben, bestätigte auf emotionaler Ebene eine der wichtigsten Lektionen, die ich bisher lernen durfte: meine eigenen Gefühle und Grenzen wahr- und ernst zu nehmen und für mich einzustehen.

Manchmal müssen wir an unsere Grenzen gehen, um uns weiterzuentwickeln. Doch um zu wachsen, gilt es ebenso, sich einzugestehen, wenn diese Grenzen überschritten sind. Vor uns selbst und vor allen anderen. Dazu braucht es ein privates und institutionelles Umfeld, welches das (Selbst-)Vertrauen fördert, aus Fehlern lernen zu dürfen. Es braucht sichere Räume für (Selbst-)Reflexion und Austausch, in welchen mensch gehört wird, auch wenn es nicht so gut läuft. Und es braucht ein Verständnis von Self-Care, bei der es nicht darum geht, sich an einem Wellness-Tag von Anstrengungen zu erholen, sondern darum, den Mut zu finden, für sich selbst und andere einzustehen, trotz Leistungsdruck, Verpflichtungen und Ambitionen.

Diese Art ermutigender (Selbst-)Reflexion rund um Fehler und dieses Verständnis von Self-Care sollen bei KOFF im Rahmen des strategischen Akzents „interne Vernetzung“ Platz finden. Damit wollen wir die Eingangsfrage nach Fehlern und Scheitern als Chance wahrnehmen, zu lernen, zu wachsen und uns weiterzuentwickeln. Als Menschen, als Organisationen, als Netzwerke, und als Bewegungen, die sich mit Engagement, Mut und Freude für sozialen Wandel einsetzen.

KOFF Anna Leissing Anna.Leissing@swisspeace.ch Leiterin der KOFF-Plattform