Shamsia Hassani, afghanische Graffiti Künstlerin in Bern, Schweiz. Lukas Krienbühl, swisspeace 2013
WIDE Switzerland Annemarie Sancar annemarie.sancar@bluewin.ch

Die Diskussion rund um die Care-Arbeit zeigt auf, wie politisch gestützte Marktmechanismen gewisse Tätigkeiten als förderungswürdig und gewinnbringend einstufen, andere hingegen als Belastung, als Bremse marktförmiger Wachstumsstrategien abwertet, versteckt, in die Exotik verrückt und das sind eben diese Care-Tätigkeiten, die gerade in Konfliktsituationen für die Bevölkerungen fürs Überleben zentral sind. Davon ist jedoch selten die Rede, zumindest dann nicht wenn eine systematische Erklärung der Ursache nötig wäre. Die Prekarisierung des Alltags findet somit auch kaum Eingang in die entscheidenden Friedensverhandlungen.

Geschichten von starken Frauen an der Basis, von Überlebensinitiativen in den zerbombten Stadtteilen, von Kindern, die unter widerlichsten Bedingungen dennoch schreiben und lesen lernen wollen, gibt es in vielen Facetten. Bilder von kleinen Held_innen, Filme von rührenden Einzelschicksalen gehen um die Welt, schöne Aufnahmen mit ästhetischem Anstrich.  Doch offenbar hat diese erzählte Realität für die wirtschaftsgetriebenen Entscheide in Zeiten militarisierter Konflikte kaum richtungsweisende Bedeutung. Im Gegenteil, die Erzählungen erleichtern die Externalisierung des «kleinen Alltags» aus dem System der leistungsorientierten Entscheidungsträger_innen – dies obschon der Ausgangspunkt ihrer Arbeitskraft die Care-Arbeit steht. Diese ist und bleibt unsichtbar.

Dieser Unsichtbarkeit der Alltagsarbeiten, die in Konfliktgebieten noch aufwändiger sind als sonst, liegen ideologisch untermauerte wirtschaftliche Interessen an Fortschritt und Wachstum zugrunde. Die Folgen sind in vieler Hinsicht gravierend, denn die Logik dahinter ermöglicht Störendes, Überflüssiges zu benennen und aus dem funktionierenden System auszuschliessen. Die Kostenüberwälzung der sozialen Sicherheit in die Haushalte der Schwächsten ist ein Beispiel dafür. Menschen in Konfliktgebieten werden sich selber überlassen, wenn sie fliehen erfahren sie nur Abschottung. Die Barrieren zur Welt der Gewinner_innen verschliessen sich. Gleichzeitig blüht die Kriegsmaterialindustrie und der Handel von Militärgütern wie selten zuvor. Neue Technologien, die das gute Leben für alle versprechen, sind unerreichbar und die Ökonom_innen singen getreu das Loblied von Wachstum und Eigenverantwortung, immer noch im «Trickle-Down» Modus. Die Gefahr einer Sinnentleerung der Menschen- und Frauenrechte wird irrelevant, denn wer als überflüssig deklariert ist, verliert auch seine Rechte, zum Beispiel das Recht auf menschenwürdiges Leben.

Geschichten aus dem Alltag von Frauen in Krisengebieten stehen beispielhaft für diese Entwertung sowohl der Sorgearbeit als auch derjenigen die sie leisten, ihre Arbeitskraft, ihre Leistung verliert den Wert. Sie bleiben unsichtbar und stimmenlos, denn einmal aus dem System der «Wirtschaftstauglichen» ausgeschlossen, wären alle Ausgaben für ihre Arbeit nur ein Verlustgeschäft. Aus neoliberaler Sicht, tragen sie nämlich nichts bei zum Fortschritt, sondern wirken wie Sand im Getriebe der Wachstumsmärkte. In Krisengebieten ist die Ungleichzeitigkeit der Ausgrenzung der ressourcenärmsten Menschen einerseits und die Geschwindigkeit der technischen Entwicklung andererseits besonders augenfällig. Die Gewinnmaximierung rechtfertigt also auch die schlimmste Verelendung.

Dieser vermeintliche Widerspruch hat System, denn die neoliberale Gesellschaftsarchitektur umfasst nur was Profit bringt, der Rest ist Abfall, der möglichst weit weg und kostengünstig entsorgt wird, so wie auch all die Menschen, deren Existenz als überflüssig gilt, und das trifft in zunehmendem Masse Menschen aus Konfliktgebieten. Um dieser Dynamik Einhalt zu gebieten, bedarf es einer klugen, ja durch und durch politischen Friedensarbeit. Elend und Hunger von Konfliktbetroffenen sind keine Geschichten von Einzelnen, sondern Ausdruck struktureller Gewalt, die nicht zuletzt auch vom Neoliberalismus legitimiert ist. Erst wenn die Organisation des Alltags, die Sorge- und Überlebensstrategien der Gemeinschaften ins Zentrum gerückt wird, können friedenspolitische Bemühung dieser Entwicklung Einhalt gebieten.

WIDE Switzerland Annemarie Sancar annemarie.sancar@bluewin.ch