N° 160
April 2019
Spielten demographische Faktoren im Arabischen Frühling eine Rolle ? Kundgebung auf dem Tahrir Platz in Kairo, Ägypten. Foto von Omnia Khalil /flickr

Auf individueller Ebene scheint der Zusammenhang zwischen Alter und Gewalt augenscheinlich. Dass junge Menschen eher gewalttätig sind als ihre älteren Mitbürger_innen belegen nicht nur Kriminalitätsstatistiken, sondern legen auch Studien aus den Bereichen Soziologie oder Psychologie nahe. Zudem fällt auf, dass bei gewaltsamen Aufständen in Rebellengruppen, Drogenkartellen oder terroristischen Gruppierungen die Anteile junger Leute – meist sind es Männer – disproportional hoch sind. Entwicklungspsychologisch sind Jugendliche besonders empfänglich für politisch oder religiös extreme Ideologien. Hinzu kommt, dass junge Menschen weniger in die Gesellschaft eingebunden sind durch Arbeitsverhältnisse oder soziale Beziehungen wie Ehe und Familie. Ökonomen_innen würden deshalb sagen, dass einer gewalttätigen Organisation beizutreten für Junge mit tieferen Opportunitätskosten verbunden ist.

Doch lassen sich diese Beobachtungen ohne weiteres auf eine höhere Ebene übertragen? Anders gefragt: Sind Länder mit einem besonders hohen Bevölkerungsanteil an jungen Menschen automatisch anfälliger für Aufstände oder Bürgerkriege? Dies besagt eine These, die auf Englisch «Youth Bulge» genannt wird, in Anspielung auf die Ausbeulung der Alterspyramiden in Bevölkerungen mit vielen Jungen. Ein radikaler Vertreter der Theorie, der umstrittene deutsche Genozidforscher Gunnar Heinsohn, sieht eine direkte kausale Verbindung zwischen dem Anteil junger Männer in einer Gesellschaft und Konflikten. Sein Argument lautet, dass die Anzahl vielversprechender gesellschaftlicher Positionen nicht ausreicht, wenn Familien gleich drei oder vier Söhne hervorbringen. Nicht Armut sei somit Treiber für Konflikte, sondern Demographie und fehlende Perspektiven: «Um Brot wird gebettelt, um gesellschaftliche Positionen wird geschossen», liess sich Heinsohn einst in einem Zeitungsinterview zitieren.

Wenige gehen so weit wie Heinsohn und erklären den Anteil an jungen Männern zum Hauptgrund für Konflikte. Und doch hat es die Youth Bulge Theorie in den Mainstream geschafft: So hat die OECD beispielsweise in einem 2011 erschienen Bericht zu bewaffneter Gewalt geschrieben, dass diese unter anderem wegen einer «wachsenden Jugendbevölkerung ohne Perspektiven» ansteige. Nicht zuletzt wurde während des «Arabischen Frühlings» 2011 der hohe Anteil junger Leute oftmals als Erklärung für die Aufstände angeführt. Daniel LaGraffe schreibt zum Beispiel, dass demographische Faktoren in der Region «eine wichtige Rolle bei der weit verbreiteten Instabilität gespielt» hätten.

Trotzdem bleiben gerade bezüglich Methodik viele Fragen offen. Die Geburtenrate steht in direktem Zusammenhang mit anderen Faktoren wie Armut oder Bildung. Dies macht es gelinde gesagt schwierig, aus der Altersstruktur eine unabhängige Variable zur Erklärung von Konflikten zu formen. Die Erhöhung der Demographie zur Haupterklärung von Konflikten birgt auch das Problem, dass somit nicht begründet werden kann, wieso von zwei Ländern mit ähnlichen Altersstrukturen eines von Konflikten verschont bleibt und das andere nicht.

Laut einer aktuellen Studie von Hannes Weber führt ein grosser Anteil an jungen Menschen in einer Bevölkerung nicht automatisch zu Instabilität oder Konflikten. Unter gewissen Umständen hingegen sei eine solche Altersstruktur tatsächlich problematisch. Konkret sei dies der Fall, wenn die sekundäre und tertiäre Bildung in der Bevölkerung ausgeweitet wird und die nationale Wirtschaft gleichzeitig stagniert. Dann ist der Arbeitsmarkt nicht im Stande, die Schul- und Universitätsabsolventen_innen zu absorbieren. Die bessere Bildung führt folglich zu erhöhten Ansprüchen, die – weil sie unerfüllt bleiben – in Unzufriedenheit und schliesslich Aggression münden können. Unter anderen Bedingungen hingegen kann ein hoher Anteil junger Menschen förderlich sein für Wirtschaft und Frieden. Die Rede ist dann von einer «demographischen Dividende».

Was die verschiedenen Studien zur Auswirkung der Altersstruktur auf das Konfliktrisiko aber auch zeigen: Einigkeit herrscht keineswegs. Oft hängt es von der Spezifizierung des Modells und den eingeschlossenen Kontrollvariablen ab, ob überhaupt ein statistisch relevanter Effekt bewiesen werden kann. Dies spricht nicht für die Robustheit der Theorie und verlangt zumindest nach einer genaueren wissenschaftlichen Untersuchung des Phänomens.