N° 160
April 2019
144 Jugendliche aus neun Ländern nahmen im März 2019 am European Youth Forum Trogen teil und beschäftigten sich mit der Frage, wie die europäischen Solidarität gerettet werden kann. Foto von Stiftung Kinderdorf Pestalozzi
Stiftung Kinderdorf Pestalozzi Thomas Witte t.witte@pestalozzi.ch Leiter Marketing & Kommunikation

Die Gründungsidee des Kinderdorf Pestalozzi bringt den damals verbreiteten Gedanken, Frieden durch Begegnung und Austausch der Nationen dauerhaft zu sichern, auf eine pädagogische Ebene. Der Völkerbund der Kinder sollte in Trogen das friedliche Zusammenleben üben und so der Welt modellhaft zeigen, dass Frieden erlernt werden kann.

Die Kinderrechtkonventionen der UN (KRK) feiern in diesem Jahr ihren 30. Geburtstag. Anlass genug, sich dem Thema Jugend und Friedensförderung aus dieser Perspektive zu nähern. In der Präambel der KRK heisst es, «dass das Kind umfassend auf ein individuelles Leben in der Gesellschaft vorbereitet und im Geist der in der Charta der Vereinten Nationen verkündeten Ideale und insbesondere im Geist des Friedens, der Würde, der Toleranz, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität erzogen werden sollte». Dieser Geist des Friedens oder auch die Schaffung einer Kultur des Friedens wird ebenfalls in Dokumenten der UNESCO und anderer UN-Agenturen beschworen und ist im SDG-Ziel 4.7 als Kriterium einer bis 2030 zu erreichenden hochwertigen Bildung für alle deklariert. Es ist klar, dass Bildung nicht per se zu Frieden führt. Die richtigen Bildungsinhalte und eine kindgerechte Pädagogik leisten jedoch zweifelsohne einen Beitrag zum friedlichen Zusammenleben. Dessen war sich Corti 1944 angesichts des 2. Weltkriegs sicher. Die Projekte der Stiftung Kinderdorf Pestalozzi (SKP) in der Schweiz und im Ausland tragen diese Überzeugung noch heute in sich.

«Wenn das Himmelreich in uns liegt, dann werden wir es nur finden, wenn wir aus Lehrern des Kindes seine Schüler werden.»
Walter Robert Corti, «Du» Ausgabe August 1944

Aus einem Dorf für Kriegswaisen und Flüchtlingskinder hat sich das Kinderdorf Pestalozzi im letzten Vierteljahrhundert zu einem internationalen Begegnungsort des interkulturellen Austauschs entwickelt. Allein 2018 haben weit über 2’000 Kinder und Jugendliche aus der Schweiz und 18 weiteren europäischen Ländern das Kinderdorf in Trogen besucht und an verschiedenen Formen von Austauschprojekten teilgenommen.

Die Programme Schweiz der SKP verstehen sich als Akteur der non-formalen Bildung. Bezieht man die Abteilung Freizeit – im Kinderdorf existiert ein Jugendtreff auf Grundlagen der freien Jugendarbeit – wird auch der informelle Sektor der Bildung berührt. Das Kinderdorf als Ganzes fungiert als geschütztes Lernlabor. Bildung wird dabei als dynamischer Prozess der Aneignung von Wissen, Fähigkeiten und Kompetenzen verstanden, der die Lernenden befähigt und darin stärkt, sich eine wertebasierte Haltung anzueignen und das individuelle Verhalten derart zu verändern, dass Konflikte einer gewaltfreien Lösung zugeführt werden können.

Die Arbeit in den Projekten basiert auf drei Prinzipien: Dem Selbst- und Weltbezug der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen im Rahmen gruppendynamischer Bildungsarbeit mit den Methoden einer dialogischen Pädagogik. Inhaltlich stehen die Themen interkulturelle und politische Bildung, der Umgang mit gesellschaftlicher Vielfalt und Medienbildung im Fokus. Die Themensetzung erfolgt partizipativ gemäss Art. 12 KRK. Vier übergeordnete Wirkungsziele sollen dabei erreicht werden: eine kritische und reflektierte Selbstbestimmung, Solidarität und Nachhaltigkeitsbewusstsein, eine Handlungs- und Widerstandsfähigkeit sowie die Artikulationsfähigkeit und gewaltfreie Artikulationsformen bei den teilnehmenden Kindern und Jugendlichen. Damit sind alle wesentlichen Bereiche abgedeckt, die in der UN Resolution A/52/243 als Arbeitsfelder für die Förderung einer Kultur des Friedens benannt werden.

Betrachtet man diese Voraussetzungen einer Kultur des Friedens, ist die Aussage, Kinder seien unsere Zukunft, mehr als eine Plattitüde. Wer in jungen Jahren lernt, Vielfalt als Chance und Fremdes als Bereicherung zu empfinden, wird als erwachsener Mensch weniger bereit sein, Gewalt als Konfliktmodus zu akzeptieren. Die interkulturellen Austauschprojekte der SKP leisten präventive Friedensförderung indem sie auf individueller Ebene Entwicklungen anstossen, die mit einiger Wahrscheinlichkeit friedfertige Persönlichkeiten reifen lassen, die für ihre Werte einstehen und sich für ein friedliches Zusammenleben engagieren.

Stiftung Kinderdorf Pestalozzi Thomas Witte t.witte@pestalozzi.ch Leiter Marketing & Kommunikation