Covid-19 Sensibilisierungskampagne vom Kurdischen Roten Halbmond, März 2020, Washokani Flüchtlingscamp (Syrien). Der Kurdische Rote Halbmond
medico international schweiz Maja Hess maja.hess@medicointernational.ch Präsidentin, Ärztin

Rojava ist der Ort, wo die Sonne untergeht, der Westen. So bezeichnen die Kurd_innen den Nordosten Syriens, wo sie versuchen ein demokratisches konföderales System aufzubauen mit dem Ziel, dass Menschen verschiedener religiöser und ethnischer Herkunft in Frieden zusammenleben können. Der Pluralismus soll eine wichtige Basis für Frieden sein, genauso wie die demokratische Beteiligung aller Gesellschaftsschichten und die Befreiung der Frauen aus dem engen patriarchalen Korsett. Die Gesundheit ist ein wichtiger und integraler Bestandteil dieses Systems. Die Bedürfnisse aller gesellschaftlichen Gruppierungen sollen in Gesundheitsräten vertreten werden. Die Vision einer friedlichen Gesellschaft ist bestechend. Rojava wird an verschiedenen Fronten angegriffen, seine Bestrebungen nach Selbstbestimmung werden nicht toleriert. Die Türkei hat mit der seit 2018 andauernden militärischen Besetzung von Afrin gegen das Völkerrecht verstossen und im Leben der Menschen grosses Leid angerichtet. “Unser Herz ist gebrochen”, sagte mir eine junge Freundin. “Unser Traum von Freiheit und Frieden ist zerrissen.” Als Folge leidet die junge Frau wie viele andere an Albträumen und Angstzuständen und weiss nicht, wo sie Unterstützung finden kann.

Erste Hilfe in Not: der Kurdische Rote Halbmond

Der Kurdische Rote Halbmond (KRC), eine lokale NGO, wurde 2012 gegründet, da sich das syrische Regime aus Rojava zurückgezogen und alle Gesundheitseinrichtungen funktionsunfähig zurückgelassen hatte. KRC hat vorerst die ganze Notversorgung in Konfliktzonen und den Flüchtlingslagern übernommen. Für die Menschen sind die roten Westen mit dem Halbmond ein Garant für Nothilfe und bedingungslose Unterstützung. Selbst verletzte Kämpfer des IS, der hier unbeschreibliche Gräueltaten verübt hat, werden medizinisch versorgt, so fordern es die ethischen Richtlinien von KRC. Dafür werden die Mitarbeiter_innen von der Bevölkerung auch kritisiert. Eine Mutter sagte einer Mitarbeiterin: “Der IS hat meinem Sohn den Kopf abgehackt, du hast mir seinen Kopf gebracht, damit ich den ganzen Körper in Würde beerdigen konnte. Und nun rettest du diese IS-Männer?”

Weil wir das Leben lieben!

Auch die Held_innen in den roten Westen leiden an den Folgen von den Bildern verstümmelter Körper und vom Gefühl der totalen Ohnmacht. Sie rauchen sehr viel, leiden an Schlafstörungen, Flashbacks und erleben sich dauernd gestresst. Wenn ich ihren Geschichten zuhöre, fühle ich mich, als müsste ich in einem Meer von Tränen versinken, aus dem ich nie mehr auftauchen kann. Ich bin erschlagen. Aber sie machen weiter, weil sie aus ihrem gesellschaftlichen Projekt Kraft ziehen, aus dem kollektiven Widerstand und aus ihrer kulturellen Identität. “Wir sind aus der Sklaverei entkommen und haben Freiheit gesehen”, sagen sie mir. “Wir sind ein Team und erfahren unglaubliche Solidarität und Unterstützung von der Gesellschaft. Wir widerstehen, weil wir das Leben lieben.”

Maja Hess, Ärztin und Präsidentin von medico international schweiz, schreibt aus Rojava:

„In den Psychodramagruppen, die ich hier leite, erschaffen wir einen kollektiven Raum, um gemeinsam über sich und die eigenen Erfahrungen nachzudenken. Dies ist ein therapeutischer Moment. Raum für das ‘Ich’, Raum für die eigenen Geschichten, Hoffnungen und Träume ist in einem solch unsicheren Kontext wie in Rojava eine Form der Selbstfürsorge.“

 

Die in diesem Artikel dargestellten Ansichten sind ausschliesslich die des Autors und entsprechen nicht den Ansichten von KOFF oder swisspeace.

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