N° 174
Februar 2022
Generalstreik gegen die neue Steuerreform, Kolumbien. Platohedro
terre des hommes schweiz Andrea Zellhuber andrea.zellhuber@terredeshommes.ch Themenverantwortliche Gewaltprävention

Kolumbien befindet sich in einer sozialen, wirtschaftlichen und politischen Krise. Eine umstrittene Steuerreform der Regierung hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Am 28. April begann ein landesweiter Streik, nachdem die Regierung von Iván Duque eine Steuerreform angekündigt hatte. Die geplanten Steuererhöhungen hätten vor allem die Mittelschicht und die ärmere Bevölkerung getroffen. Dies löste eine Welle monatelanger landesweiter Proteste aus. Die Regierung antwortete mit gewaltsamer Unterdrückung.

Die Speerspitze der Proteste bildeten Jugendliche. Gefühle von Frust, Ohnmacht, Hoffnungslosigkeit der kolumbianischen Jugend entluden sich in diesen Protesten explosionsartig. Eine verzweifelte Generation, die sich durch die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie ihrer Zukunftsperspektiven beraubt sieht und frustriert ist von falschen Versprechungen Friedensprozesses. Der ausufernde Generalstreik war ein Ventil für die aufgestaute Unzufriedenheit mit der Regierung. Die repressive Gewalt der Polizeikräfte führten zur Eskalation der Lage. In der Medienberichterstattung und den Stellungnahmen des Präsidenten werden die jugendlichen Demonstrant:innen als Vandal:innen und Terrorist:innen stigmatisiert.

Partnerorganisationen von terre des hommes schweiz in Cali und Medellín, die sich in den beiden besonders von der Protestwelle betroffenen Grossstädten für die benachteiligte Jugendliche einsetzen, reagierten schnell auf die aufgeheizte Lage. Die Organisationen Platohedro und Paz y Bien sind spezialisiert auf Gewaltprävention mit Jugendlichen. „Das schlimmste war für die jungen Leute das Gefühl nicht gehört und zusätzlich noch diffamiert und erniedrigt zu werden“, erklärte Elodia Nieves Balanta von Paz y Bien. Beide Organisationen sind spezialisiert auf psychosoziale Ansätze in der Jugendarbeit. Durch ein von terre des hommes schweiz angebotenes Training lernen Jugendliche in Methoden des lösungsorientierten Ansatzes und werden in gewaltfreier Kommunikation ausgebildet. Dabei geht es vor allem um Methoden des Zuhörens und der lösungsorientierten Gesprächsführung. Während des Generalstreiks organisierten Paz y Bien und Platohedro Sensibilisierungsveranstaltungen zu gewaltfreiem Aktivismus und Dialogveranstaltungen in den Quartieren, um gemeinschaftliche Reflexion über die Ereignisse zu ermöglichen. Ein wichtiges Element ihrer psychosozialen Arbeit war ausserdem telefonische Beratung von Risikogruppen. Diese hatte sich bereits im ersten Jahr der Pandemie bewährt, als Reaktion auf die hohen psychischen Belastungen des Lockdowns und der Isolation. Während des Generalstreiks gewann diese Form der psychosozialen telefonischen Beratung noch zusätzlich an Bedeutung. In den Gesprächen und online-Dialog Formaten gehen Jugendliche peer educators auf die psychischen Bedürfnisse gleichaltriger ein und tauschen Gefühle, Emotionen und Erfahrungen im Zusammenhang mit der Pandemie und dem Generalstreik aus. Die Peer-to-Peer-Komponente hat sich als wirksam erwiesen, um schnell reagieren zu können und Verbindung zu den am schwersten zu erreichenden Gruppen aufzubauen.

 

terre des hommes schweiz Andrea Zellhuber andrea.zellhuber@terredeshommes.ch Themenverantwortliche Gewaltprävention