N° 174
Februar 2022
Faith Kasina mit den Mitgliedern des Zentrums für soziale Gerechtigkeit, 2020, Foto von Manu Valcarce. Peace Brigades International
Interview von Faith Kasina Menschenrechtsverteidigerin, Mitbegründerin und Koordinatorin des Zentrums für soziale Gerechtigkeit Interviewerin Zelda Métraux zelda.metraux@peacebrigades.ch Assistentin für Kommunikation und Fundraising

Ob Treibkraft oder Herausforderung: Gefühle sind fester Bestandteil der Arbeit von Menschenrechtsverteidiger:innen. PBI Schweiz hat sich mit der kenianischen Menschenrechtsverteidigerin Faith Kasina unterhalten, um den Zusammenhang von Fürsprache und Gefühlen in ihrem Arbeitsalltag zu verstehen. Jeden Tag stellt sie sich dem Risiko der Verschleppung und Ermordung. Als Mitgründerin und Koordinatorin des Zentrums für soziale Gerechtigkeit in Kayole arbeitet sie in informellen Vierteln von Nairobi und kämpft gegen aussergerichtliche Hinrichtungen, die in Kenia immer wieder vorkommen. Allein 2021 wies die NGO-Plattform «Missing Voices» 169 Fälle aus (https://missingvoices.or.ke/statistics/). Die Bedrohungen, denen sie als Aktivistin ausgesetzt ist, lösen bei ihr ständiges Misstrauen aus: «Ich habe die ganze Zeit Angst, beobachte immer genau, was um mich herum geschieht». Doch obwohl Gefühle wie Angst und Stress ständige Begleiter bei der Arbeit und in ihrem Leben sind, sind sie auch eine Motivationsquelle. «Sie belasten mich nicht, sondern festigen meine Entschlossenheit, denn ich weiss nicht, ob ich den nächsten Morgen noch erleben werde. Also will ich jetzt mein Bestes geben und meine Aufgabe erfüllen.»

 

Damit sie ihrer Arbeit als Fürsprecherin erfolgreich nachkommen kann, braucht es Empathie, Rückhalt und Solidarität. Ihre Verantwortung als Vertreterin einer Gemeinschaft steht allerdings manchmal ihren eigenen Bedürfnissen entgegen. «In einigen Fällen erhält man von der Gemeinschaft nur Unterstützung, wenn es zu ihrem eigenen Vorteil ist. Heute unterstützt mich vielleicht eine Mutter, weil ihr Sohn umgebracht worden ist und weil ich mich um Angelegenheiten im Bereich aussergerichtliche Hinrichtungen kümmere, aber schon morgen will sie nicht mehr mit meinen Forderungen in Zusammenhang gebracht werden. Manchmal verstehen die Gemeinschaftsmitglieder nicht, dass ich nicht nur für sie, sondern auch – und vor allem – für mich selbst kämpfe.» Damit man nicht überwältigt wird, braucht es ein gutes Gleichgewicht zwischen Solidarität und Selbstsorge.

 

In den Zentren für soziale Gerechtigkeit, in denen Faith Kasina arbeitet, werden gemeinsam mit Peace Brigades International Workshops organisiert. Diese sind Teil der Strukturen, die für die Bearbeitung der sozialen und psychologischen Dimensionen der Menschenrechtsverteidigung zur Verfügung stehen. An diesen Workshops können sich die Aktivistinnen – etwa diejenigen, die an der Dokumentation von aussergerichtlichen Hinrichtungen beteiligt sind – über ihre Herausforderungen, Traumata und Frustrationen austauschen und sich fallen lassen. Der Austausch ist notwendig, damit man das eigene Handeln angesichts einer gegebenen Situation verstehen, die eigenen Gefühle beherrschen lernen und auf eigene Bedürfnisse eingehen kann. Denn obwohl die Verteidigung der Menschenrechte ein Vollzeitjob ist, ist es manchmal schwierig, die Dinge voneinander zu trennen. «Ich glaube, ein Problem von uns Menschenrechtsverteidiger:innen ist: Wir machen nicht gerne Pause. Wir haben immer das Gefühl, unsere Gemeinschaft zu verraten. Wir müssen darum dringend lernen, uns zurückzuziehen und uns Auszeiten zu gönnen.»

 

 

Interview von Faith Kasina Menschenrechtsverteidigerin, Mitbegründerin und Koordinatorin des Zentrums für soziale Gerechtigkeit Interviewerin Zelda Métraux zelda.metraux@peacebrigades.ch Assistentin für Kommunikation und Fundraising