N° 174
Februar 2022
Dimitar Belchev. Unsplash

«Man sieht nur mit dem Herzen gut.» – Antoine de Saint-Exupéry – «Der kleine Prinz» 

Vor einigen Jahren wurde ich mit der Aufgabe betraut, einen irakischen Politiker zu einem Dialogprozess zu konsultieren. Er kanzelte mich mit den Worten ab, die geheime Agenda des Westens sei es doch, den Irak zu spalten und seine Reichtümer zu stehlen. Damals wusste ich nicht, wie ich reagieren sollte, und versuchte, ihm unsere guten Absichten zu erklären – während ich mich bemühte, meine Gefühle des Unbehagens, der Wut und der Scham zu verbergen. 

Sich seiner eigenen Emotionen bewusst zu werden und sie regulieren zu können, sollte eine grundlegende Kompetenz für Friedensfachkräfte und Teil unserer Berufsausbildung sein. Warum? Erstens hilft es uns, angesichts von Konflikten bei klarem Verstand zu bleiben. Zweitens müssen wir in Einklang mit unseren eigenen Gefühlen stehen, um erfolgreich Beziehungen zu Menschen in Konflikten aufbauen und Empathie fördern zu können. Die (Wieder-)Herstellung von Beziehungen und Empathie ist letztlich die Basis, auf welcher sich die Menschen zuhören, verstehen und für beide Seiten akzeptable Konfliktlösungen finden können. 

Wir sind biologisch dazu fähig, die Emotionen anderer Menschen zu fühlen. Sich mit einem anderen Menschen zu verbinden, bedeutet für mich, dass diese Person spüren kann, dass ich sie fühle. Dies erfordert die Fähigkeit, mit sich selbst in Verbindung zu stehen und wahrzunehmen, was in einem vorgeht, welche Gedanken, Emotionen und körperliche Reaktionen präsent sind, ohne sich davon überwältigen oder vereinnahmen zu lassen. Wir können unser Bewusstsein für diese emotionale Resonanz schulen und lernen, sie innerhalb unserer emotionalen Erfahrung zu unterscheiden.  

In Konflikten neigen die Menschen dazu, von Gefühlen überwältigt zu werden. Das passiert auch den Profis in der Friedensförderung. Wenn Gefühle schwer zu ertragen sind, distanzieren wir uns von ihnen und hören womöglich auf, sie zu fühlen. Dies mindert unsere Fähigkeit in Verbindung zu treten und unsere Arbeit zu machen. Selbst wenn es nur subtil ist, werden die Menschen, mit denen wir arbeiten, diese Abkopplung bemerken. Wenn ich mich nach aussen professionell gebe, aber innerlich koche, spürt das Gegenüber die Inkongruenz. 

Emotionale Abkopplung kann durch frühere Trennungserfahrungen ausgelöst werden, die sich im toten Winkel der Persönlichkeit angesammelt haben – auch Schatten oder individuelles oder kollektives Trauma genannt. Sie können erneut getriggert werden und blockieren die Fähigkeit zum Beziehungsaufbau. Die gute Nachricht: Personen, die in der Friedensförderung arbeiten, können ihre Fähigkeit zum Beziehungsaufbau verbessern, indem sie sich ihrer eigenen toten Winkel bewusst werden und sich mit den gekränkten, verletzten, verängstigten, verhärteten und abgekoppelten Teilen ihrer Persönlichkeit in Verbindung setzen. Das stärkt die Selbstempathie und die Fähigkeit, im Hier und Jetzt zu bleiben. 

Ich bin keineswegs der erste in der Friedensförderung, der sich für Selbstreflexion engagiert. Ich knüpfe an die grossartige Arbeit von Vorbildern wie Ben Hoffmann, Marshall Rosenberg, Friedrich Gasl, Dekha Ibrahim Abdi und Simon Mason, Garry Friedman und Jack Himmelstein, Rudi Ballreich, dem Dalai Lama, William Ury oder auch Thomas Hübl an. Sie alle haben Personen aus der Friedensförderung oder in Führungspositionen dazu angeregt, sich der inneren Arbeit zu widmen. 

Warum aber sind solche Praktiken in unserem Berufsfeld noch nicht fest verankert und institutionalisiert? Warum haben Friedensförderungsorganisationen keine Kultur der Selbstreflexion und inneren Arbeit, wie wir sie aus anderen Berufen im sozialen oder psychologischen Bereich kennen? 

Wenn ich auf meinen eigenen Werdegang zurückblicke, frage ich mich: Für wie viele von uns ist die Berufung für den Frieden zu arbeiten, Ausdruck für das Verlangen, den inneren Frieden zu suchen? Könnte die Gleichgültigkeit gegenüber der Rolle unserer eigenen Gefühle und Persönlichkeitsstrukturen vielleicht ein kollektiver toter Winkel in der Friedensförderung sein? 

Mein Leben gab mir eine Unsicherheit mit, die mir Beziehung und Verbundenheit nicht als selbstverständlich erscheinen liess. Daraus erwuchs meine Neigung, , Harmonie herzustellen und mich meiner Beziehungen zu versichern. Das hat meine Sinne für Konflikte geschärft. Als ich in unseren Beruf einstieg, schien Mediation die ideale Aufgabe für jemanden wie mich zu sein, einer Person, die sich schnell in andere einfühlen kann, die spürt, was in einem Raum vor sich geht, und die den Drang hat, Frieden herzustellen. Irgendwann wurde mir klar, dass ich oft durch das Verhalten anderer getriggert wurde und es mir dabei schwerfiel, meinen eigenen Frieden zu finden. Rückblickend glaube ich, dass mein Bemühen, die Konflikte anderer Menschen zu lösen, ein unbewusster Schritt dahin war, mich meinen eigenen Problemen zu stellen. Sicherlich hat es mir geholfen, selber in den Spiegel zu schauen. Ich wage zu behaupten, dass mich das wiederum beruflich vorangebracht hat. Heute verfüge ich über ein ausgefeilteres Instrumentarium um in Konflikten Beziehung zu ermöglichen. 

Unser Bereich sollte in die Entwicklung einer Kultur des emotionalen Bewusstseins und der Selbstreflexion investieren. Führungspersonen in unseren Organisationen müssen als Vorbilder auftreten, indem sie die innere Arbeit als Teil der Professionalisierung in unserem Bereich vorleben und fördern. Das Know-how für die Schaffung von Angeboten wie Trainings und Coachings, Supervision und Intervision oder auch psychologische Nachbesprechungen ist zur Genüge vorhanden.