N° 174
Februar 2022
CREHR, the Centre for Researching and Embedding Human Rights Irene Bruna Seu b.seu@bbk.ac.uk Professorin für psychosoziale Studien und Gründungsdirektorin des CREHR

Über den Zusammenhang zwischen Vernunft und Emotionen schrieb einst ein berühmter Sozialpsychologe, dass rationales menschliches Verhalten ohne Emotionen wie ein ausgeschalteter Computer sei. So ausgeklügelt ein Computer auch sein mag, er ist leblos, wenn der Strom abgeschaltet ist. Auch die Psychoanalyse schreibt den Emotionen eine zentrale Rolle im menschlichen Leben zu. Sie vertritt die Auffassung, dass wir unsere Emotionen und Affekte, insbesondere diejenigen, die unter der Oberfläche brodeln und unserem rationalen Verstand unbekannt sind, untersuchen sollten, wenn wir versuchen möchten, das Konzept der Motivation zu verstehen. Kurz gesagt: Emotionen treiben uns an.

Auf gesellschaftlicher Ebene erinnern der weltweit zunehmende Populismus und Fundamentalismus immer wieder an die zentrale Rolle von Emotionen und, wie einige behaupten, von “irrationalem” Verhalten im sozialen und politischen Leben. Folglich würde man bei der Friedensmediation, die per Definition in der Zeit nach der extremen Gewalt, der Verwüstung und dem Verlust von Menschenleben stattfindet, ein aktives Interesse an und eine Auseinandersetzung mit den Emotionen erwarten, die diesen Ereignissen zugrunde liegen und aus ihnen resultieren. Doch leider ist das Bild nicht so eindeutig.

Das vom Schweizerischen Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) finanzierte und von Forscher:innen des CREHR geleitete Pilotprojekt States of Mind in Conflict (SOMIC) dessen Bericht im April 2022 veröffentlicht wird wurde durch die mangelnde Beachtung der psychologischen Dimensionen in der Friedensmediation und Friedensförderung angeregt. Fachleute wurden gefragt, wie die Psychologie gemäss ihren Erfahrungen die Praxis der Friedensmediation verbessern könnte. Aus den Interviews ging hervor, dass der Bereich der Friedensmediation als vielschichtiges und komplexes Ökosystem eine komplizierte und ambivalente Beziehung zu Emotionen hat. Während die so genannten “transformativen Friedenspraktiken” dazu neigen, sich implizit für Emotionen zu interessieren und sich aktiv mit ihnen auseinanderzusetzen, ist die “hochrangige Elite-Mediation” bestenfalls desinteressiert und lehnt Emotionen oft ab.

Manche Beobachter:innen führen diesen Umstand auf die Ausbildungsweise von Mediator:innen und die Dominanz des Modells des rationalen Akteurs zurück, welches politische Entscheidungsprozesse als primär rationale Prozesse betrachtet. Gemäss diesem Verständnis werden Emotionen als lästig oder gar als Hindernis für die “eigentliche Arbeit” betrachtet. Jede Person, die im Bereich der Friedensmediation gearbeitet hat, weiss jedoch, dass dies in direktem Gegensatz zu den intensiven emotionalen Erfahrungen in der Arbeit mit Konfliktparteien steht. Viele Mediator:innen wenden psychologische Werkzeuge bereits intuitiv an. Aufgrund der systematischen Ablehnung und dem Ausschluss von Emotionen in Friedensprozessen und dem daraus resultierenden Mangel an Verständnis dafür, warum funktioniert, was sie instinktiv tun, fühlen sich die Praktizierenden überfordert und unvorbereitet. Die Studie ergab, dass Fachleute, die sich intuitiv mit den Emotionen in der Friedensförderung befassen, sich unsicher fühlen und nicht die nötige Unterstützung erhalten, die sie bräuchten.  Aufgrund eines steigenden Interesses an der Rolle von Emotionen in der Friedensmediation, plädieren Wissenschaftler:innen und Expert:innen durch eine Studie für eine Abkehr von dem unrealistischen und wenig hilfreichen Versuch, Mediationsprozesse von Emotionen zu befreien, damit die Regulierung von Gefühlen in den Verhandlungen erleichtert werden kann.

Die Daten zeigen, dass eine intensivere Beschäftigung mit und ein besseres Verständnis von Emotionen der Praxis der Friedensmediation in dreierlei Hinsicht zugutekommen würde:

  1. Im Umgang mit traumatisierten Konfliktparteien würde es den Mediator:innen helfen, die Denkweise der Parteien besser zu verstehen und mit ihren emotionalen Zuständen umzugehen.
  2. Die Anerkennung der emotionalen Auswirkungen von Friedensprozessen auf das Wohlbefinden der Fachpersonen und die Einführung von psychologischer Unterstützung würde die Widerstandsfähigkeit und die Fähigkeit zur Selbstreflexion der Mediator:innen stärken, was ihre Effektivität verbessern würde.
  3. Die Beschäftigung mit der ganzen Bandbreite an Emotionen in der Mediation und in friedensfördernden Begegnungen würde deren Beziehungsaspekte fördern und Durchbrüche in Verhandlungen erleichtern.

 

Insgesamt haben die Ergebnisse der Studie zweifellos deutlich gemacht, dass eine Neukalibrierung des Verständnisses von Mediationsprozessen notwendig ist. Zudem zeigten die Resultate auch, dass Mediation nicht nur als Machtvermittlung und technische und diplomatische Übung, sondern auch als hochgradig emotional aufgeladene zwischenmenschliche Begegnungen anerkannt werden sollte, die eine geschulte Sensibilität für Gefühle erfordert. Letztendlich zeigt die Studie neben den Gefahren, die entstehen, wenn man sich nicht um Emotionen kümmert, auch die vielen verpassten Chancen für Durchbrüche und erfolgreichere Friedensmediationsprozesse auf.

 

 

 

 

 

 

CREHR, the Centre for Researching and Embedding Human Rights Irene Bruna Seu b.seu@bbk.ac.uk Professorin für psychosoziale Studien und Gründungsdirektorin des CREHR