N° 174
Februar 2022
Banksys Bouquet Toss in der Ash Salon Street, Bethlehem. Michael Rose. Flickr
Oxford Process Gabrielle Rifkind gabrielle.rifkind@oxfordprocess.com Direktorin von Oxford Process und Spezialistin für Konfliktlösung

Die Fähigkeit, Konflikte zu lösen, wird meistens aus Sicht der Politik und der Machtverhältnisse betrachtet. Selten wird hinterfragt, warum sich Menschen auf eine bestimmte Weise verhalten. Historisch gewachsene Ängste, Traumata und Demütigungen behindern die Friedensstiftung. Ein Konflikt kann eher gelöst werden, wenn neben geopolitischen Strukturen auch die zwischenmenschlichen Beziehungen berücksichtigt werden. Psychische Befindlichkeiten lassen sich nicht von heute auf morgen ändern, es ist jedoch eine notwendiger Ansatzpunkt, Menschen zu respektieren, sie mit Würde zu behandeln, und ihnen Hoffnung zu geben.

 

Das aktuelle militärische Paradigma im israelisch-palästinensischen Konflikt trägt in keiner Weise dazu bei, die Ursachen der Auseinandersetzung zu beheben. Gewalt prägt die Rhetorik auf beiden Seiten, wobei eine beträchtliche Machtasymmetrie herrscht. Israel zählt zu den grössten Militärmächten der Welt, ganz anders als die Hamas mit ihren selbst hergestellten Waffen. Dies hat dazu geführt, dass das Leid extrem ungleich verteilt ist und dass sich die Fronten in den Köpfen der Menschen verhärtet haben. Das erschwert die Friedensstiftung zusätzlich.

 

Gewalt ist nicht angeboren, sie wird durch Erlebnisse hervorgerufen. Sie ist eine Form fehlgeschlagener Kommunikation, hinter der viel Schmerz, Ohnmacht und Erniedrigung stecken. Vieles deutet darauf hin, dass ein Zusammenhang zwischen Demütigung und Gewalt besteht. Dies könnte erklären, warum marginalisierten Gemeinschaften zu Gewalt greifen. Wenn Menschen kein Mitspracherecht und keinen Zugang zu Macht und Ressourcen haben, neigen sie eher dazu, sich durch Widerstand, Auflehnung oder Gewalt Gehör zu verschaffen.

 

Unsere Vergangenheit bestimmt, wie wir uns selbst sehen und unsere Identität entwickeln. Das Selbstbild wird von Generation zu Generation weitergegeben, uns mit der Muttermilch eingeflösst oder von der Gemeinschaft, religiösen Vorbildern, Grosseltern, Lehrkräften und anderen wichtigen Persönlichkeiten in unserem Leben vermittelt. Kinder, die in Gaza aufwachsen und dort ihre Identität entwickeln, lernen, dass sie aus Israel vertrieben wurden. Die Familiengeschichte und das Gefühl von Entwurzelung sind tief in den Kindern verankert. Deshalb würden manche, die in einem Konfliktgebiet aufgewachsen sind, lieber töten oder sterben, als diese grundlegende Identität zu verleugnen. Für einige Menschen in Gaza könnte dies bedeuten, die Grosseltern zu verraten, die ihre Heimat 1948 verlassen mussten – ein früheres Trauma, an das die ständigen Angriffe Israels immer wieder erinnern.

 

Wie würde ein Ansatz aussehen, bei dem es nicht um militärische, sondern um menschliche Sicherheit geht? Er müsste nicht nur auf psychologische Aspekte, die psychische Verfassung und die Traumahistorie, sondern auch die Sicherheitsvoraussetzungen eingehen und wirtschaftliche Wiederbelebung, einen langfristigen Waffenstillstand sowie ein Gefühl von Hoffnung beinhalten.

 

Eine positive wirtschaftliche Zukunft ist durchaus vorstellbar, denn die Bevölkerung hat ein hohes Bildungsniveau und eine der niedrigsten Analphabetismusrate weltweit. Mit der malerischen Mittelmeerküste könnte Gaza ein gefragtes Tourismusziel werden. Die Erdgasvorkommen vor der Küste und die idealen Solarstrombedingungen könnten Investitionen anziehen, von denen alle Einwohner:innen profitieren. Neue Entsalzungsprojekte, Kläranlagen und der Wiederaufbau des Flughafens würden ebenfalls zu einer besseren Zukunft beitragen.

 

Doch für eine nachhaltige Belebung der Wirtschaft muss der Teufelskreis der Gewalt durchbrochen werden. 2017 lehnte die Hamas in einem Positionspapier die Anerkennung Israels ab, signalisierte aber die Bereitschaft, einen palästinensischen Staat, einschliesslich Gazastreifen und Westjordanland, mit Ostjerusalem als Hauptstadt zu akzeptieren, und rief zu einem langfristigen Waffenstillstand auf, der bekannt ist als «Hudna». Allerdings bezweifelt Israel die Aufrichtigkeit der beiden Vorschläge und hat das Dokument nicht offiziell anerkannt. Man müsste im Hintergrund Rückmeldungen einholen, um herauszufinden, ob es sich um seriöse Optionen handelt, dieden Sicherheitsbedenken beider Seiten gerecht werden könnten.

 

Zahlreiche Gazaner:innen, die jede Hoffnung verloren haben, forderten im sogenannten «Marsch der Rückkehr» die Rückgabe der Gebiete, aus denen ihre Familien 1948 vertrieben worden waren. Diese Forderungen werden immer lauter und dürften nicht verstummen, bis sich die Lage ändert, die Hoffnung zurückkehrt und sich eine Chance auf eine würdevollere, sichere Zukunft eröffnet. Das ist bei Weitem kein idealistischer Traum, sondern gründet auf reinem Pragmatismus und klugen politischen Erwägungen. Die Alternativen sind Endlosschleifen von Krieg und Leid. Wenn die Hoffnung schwindet, machen sich Fatalismus, Apathie und blinde Wut breit.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

..

 

Oxford Process Gabrielle Rifkind gabrielle.rifkind@oxfordprocess.com Direktorin von Oxford Process und Spezialistin für Konfliktlösung