Die Einsicht, dass Geschlecht nicht gleichbedeutend mit Frauen ist, ist entscheidend für einen geschlechtersensiblen Ansatz, um eine effektive Veränderung der Gewalt. Straßenkunst, Beirut, 2022. Yasmine Janah & Leandra Bias
swisspeace Yasmine Janah Yasmine.Janah@swisspeace.ch Associate Gender & Peacebuilding Advisor

Was sind die verschiedenen Formen von Männlichkeit und welche Ansätze gibt es? Welche Risiken und Potenziale sind damit verbunden, an und mit Männlichkeiten zu arbeiten? Wie können wir gewährleisten, dass die Gendergerechtigkeit in der Friedensförderung unter Berücksichtigung von Männlichkeiten gefördert wird, während Frauen, LGBTIQ+-Menschen und andere vulnerable Gemeinschaften mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Anliegen in den Mittelpunkt gestellt werden?

Bei Gewaltprävention und Friedensförderung sollte die Genderperspektive als Analyseinstrument unbedingt berücksichtigt werden. Im Mittelpunkt einer gendersensitiven Konfliktprävention stehen die Analyse und Auseinandersetzung mit dem Thema Geschlecht als einem auf Beziehungen bezogenen Machtsystem. Ein gendertransformativer Ansatz bei der Friedensförderung ermöglicht daher ein wirksames Verständnis der Machtasymmetrien und ungerechten Normen, die die Grundlage für Unsicherheit und Gewalt bilden. Gegenwärtig herrscht jedoch eine Auslegung des Begriffs «Gender» vor, bei der die Sichtweise weitgehend auf Frauen und Pauschalisierungen verengt ist.

swisspeace hat eine Bestandsaufnahme durchgeführt, die die Zusammenhänge zwischen Männlichkeiten, Gewalt und Frieden untersucht. Auf der Grundlage von qualitativen Interviews mit verschiedenen Organisationen im Libanon und in Tunesien soll diese Studie potenzielle Wege und Risiken bei der Arbeit mit und an Männlichkeiten aufzeigen. Gleiches gilt für die Geschlechtergleichstellung in der Präventionsstrategie. Dadurch soll die Studie als Orientierungshilfe für die Friedenspolitik dienen.

Trotz der starken Polarisierung und des harten Durchgreifens im Libanon und in Tunesien bilden feministische und von Frauen geführte Netzwerke und zivilgesellschaftliche Organisationen das Rückgrat der Bemühungen um Frieden und den Aufbau staatlicher Strukturen. So spielen sie eine zentrale Rolle bei der Mediation ebenso wie bei Schutz und humanitärer Unterstützung für vulnerable Gemeinschaften und schliessen Versorgungslücken.

Insbesondere bekämpfen zivilgesellschaftliche Organisationen im Libanon und in Tunesien auf lokaler, nationaler und regionaler Ebene die Auswirkungen der Krise auf Frauen, Männer und Gender-Minderheiten sowie deren Ursachen, indem sie sich mit Unrecht bewirkenden sozialen Normen, Werten und Strukturen auseinandersetzen. Dies umfasst ein Umfeld, in dem die Rollenerwartungen und Praktiken von Männern eng mit den vorherrschenden traditionellen Vorstellungen einer hegemonialen Männlichkeit verknüpft sind und in dem viele Männer ein soldatenhaftes Auftreten als gangbares Lebensmodell betrachten. Von Männern wird erwartet, dass sie die Versorger, die Ernährer, die Wächter und Beschützer der Familie, der Gemeinschaft und der Gesellschaft insgesamt sind.

Vor allem aber dienen diese Rollen dazu, das Leben und die Körper der Frauen zu unterwerfen und die Macht und Kontrolle der Männer, auch über Ressourcen, aufrechtzuerhalten. Einige Partnerorganisationen haben darauf hingewiesen, dass diese Idealvorstellungen von Männern in den sozialen Strukturen (z. B. in Familien, in politischen Parteien, religiösen Institutionen und in der Gesetzgebung) verankert sind, was zu Konflikten führt. Diese Strukturen und die Militarisierung betonen das Idealbild eines Mannes als Kämpfer und normalisieren die generelle Anwendung von Gewalt und die Durchsetzung politischer Macht, um verschiedene Formen von Gewalt und Herrschaft dauerhaft zu sichern. Es gibt aber auch Männer, die andere Formen von Männlichkeit vertreten. Diese werden häufig als Verstoss gegen herrschende Sitten empfunden und entsprechend abgewertet. Ein solcher Bruch mit den traditionellen Erwartungen wird in der Regel sanktioniert.

Die Studie beleuchtet einen gendertransformativen Ansatz zur Konfliktprävention, um die komplexen Triebkräfte von Gewalt anhand lokaler Aspekte zu erklären. Sie erkennt an, dass Männlichkeiten vielfältig, komplex, kontextspezifisch und manchmal sogar widersprüchlich sind. Die Darstellung von Männlichkeiten und ihrer Interaktion in fragilen und konfliktbetroffenen Kontexten birgt sowohl Chancen als auch Spannungen bei der Förderung feministischer Friedens- und Wiederaufbauarbeit (nach Konflikten). Insbesondere muss die Einbindung eines gendertransformativen Ansatzes zur Konfliktprävention – unter Einbezug von Männlichkeitsaspekten – Behörden, Organisationen und Fachleute in die Lage versetzen, Verantwortungsmechanismen zu schaffen, Programme effektiv zu konzipieren und frühzeitig auf die raschen Veränderungen der Konfliktdynamik einzugehen, Frühwarnsignale zu erkennen und dadurch den Ursachen von Fragilität und Unrecht entgegenzuwirken.

Mehr dazu in der swisspeace-Studie «Masculinities, Violence and Peace», die Anfang November veröffentlicht wird.

 

 

 

 

 

 

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