N° 158
Dezember 2018
Simon Mason. Bild von Simon Mason

Dr. Simon J. A. Mason ist Leiter des Mediation Support Teams am Center for Security Studies ETH Zürich und arbeitet im Mediation Support Project (eine gemeinsame Initiative des CSS ETH Zürich und swisspeace, finanziert durch das EDA). In diesem Interview erzählt er uns mehr darüber, wie Konflikte und Umwelt zusammenspielen. Zudem gibt er seine Einschätzung über die aktuelle Situation für Friedensstifter_innen.

Sie haben in Umweltwissenschaften promoviert, später wurden Sie Mediator. Was hat Sie dazu veranlasst, diese beiden Felder miteinander zu verbinden?

Diese Verbindung begann, während der Arbeit zu meiner Doktorarbeit über die gemeinsame Wassernutzung im Nilbecken, mit einem Fokus auf den Sudan, Ägypten und Äthiopien. Ich erkannte, dass Wassermenge und -qualität wichtig sind, die politische Nutzung und Bewirtschaftung des Wassers jedoch ebenso wichtig und in vielerlei Hinsicht viel schwieriger ist. Während dieser Zeit verlagerte sich mein Schwerpunkt auf die politischen Aspekte von Umweltkonflikten und die Frage, wie man Menschen zur gemeinsamen Problemlösung zusammenbringen kann. Ich finde die Interaktion in Umweltkonflikten sehr interessant; wenn ein Problem rein politisch ist, kann es manchmal schwierig sein, es richtig zu fassen, wenn es jedoch rein technisch ist, kann es manchmal durchaus etwas langweilig sein.

Wie hat Ihnen in Ihrer Tätigkeit als Mediator der Hintergrund als Umweltwissenschaftler geholfen?

Die Umweltwissenschaften, wie sie an der ETH Zürich unterrichtet werden, sind sehr problemorientiert: Absolventen_innen sind in keiner einzigen Disziplin Experten, besitzen aber in vielen Disziplinen gewisse Kenntnisse und versuchen dieses Wissen auf ein Problem anzuwenden. Dies kommt der Logik der Mediation sehr nahe. Ein weiterer wichtiger Aspekt in den Umweltwissenschaften ist der multiperspektivische Ansatz, welcher der Mediation ebenfalls sehr ähnlich ist: Es gibt nicht nur eine Wahrheit, sondern sie hängt sehr stark davon ab, aus welcher Perspektive man ein Problem betrachtet. Wenn man vorankommen und eine Lösung finden will, muss man sich mit allen Perspektiven auseinandersetzen.

Die Vorstellung, dass alles subjektiv ist, wird im aktuellen Kontext manchmal zu weit getrieben. Mit dem Einbezug der Naturwissenschaften erhält man unumstössliche Fakten und kann Dinge messen, was ein wichtiges Gegengewicht darstellt. Gerade in Umweltkonflikten kann es helfen, zu einer Lösung zu kommen, wenn man Daten erarbeiten und sich auf ihre Interpretation einigen kann.

Bei der Anwendung der Umweltwissenschaften in der Mediation stellt sich oft die Frage, wie man technisches Wissen so einbringen kann, dass Aspekte des Konflikts entpolitisiert werden, während man sich gleichzeitig bewusst bleibt, dass politische Entscheidungen dennoch getroffen werden müssen. Die Fokussierung auf die technischen Aspekte kann in vielen Fällen helfen, eine gemeinsame Basis zu finden.

Glauben Sie, dass das Bewusstsein für den Zusammenhang zwischen Umwelt und Konflikten steigt?

Die größte Herausforderung besteht darin, dass der Zusammenhang zwischen Klimawandel und gewalttätigen Konflikten indirekt ist, was jedoch nicht bedeutet, dass er irrelevant ist und dass wir ihn ignorieren können. Ich denke, die Menschen haben ein gewisses Bewusstsein für den Klimawandel entwickelt, aber dann wurde eventuell ein zu grosser Schwerpunkt auf einen möglichen direkten Zusammenhang zwischen Ressourcenknappheit oder Umweltveränderungen und dem Ausbruch gewalttätiger Konflikte gelegt. Wissenschaftliche Studien zeigten dann jedoch, dass diese direkte Verbindung nicht besteht. Es ist schwierig, einen Konflikt als “umweltbedingt” zu klassifizieren, denn Konflikte sind selten rein ökologisch, sondern immer mehrdimensional. Meiner Meinung nach ist es das, was diese Verbindung zwischen Umwelt und Konflikten (insbesondere zu gewalttätigen Konflikten) sehr schwierig macht.

Sie sind Mitautor eines Buches mit dem Titel “Mediation and Governance in fragilen Kontexten: Kleine Schritte zum Frieden”, das im Februar 2019 veröffentlicht wird. Was können Sie mir darüber sagen?

Ich habe das Buch zusammen mit Dekha Ibrahim Abdi geschrieben, einer kenianisch-somalischen Mediatorin, die unter anderem zum Thema Land und Konflikte arbeitete. Ihr Fokus lag vor allem auf der lokalen Ebene und sie versuchte, die Mediation eines Konflikts nachhaltiger zu gestalten, indem sie diese mit dem Aufbau lokaler Friedenskomitees verknüpfte, die ihrerseits auf längerfristige politische Veränderungen auf der zentralstaatlichen Ebene hinarbeiten. Sie war eine einzigartige Person, die an der Basis arbeitete, sich aber gleichzeitig auf nationaler Ebene in der Krise rund um die Wahlen in Kenia 2007/2008 engagierte. Sie sammelte auch international Erfahrungen und hatte eine Begabung dafür, verschiedene Welten – den Westen, Osten, Norden und Süden – und verschiedene Kulturen zu erreichen und zu verbinden. Verwurzelt im und inspiriert durch den Islam war sie offen für die Auseinandersetzung mit und das Lernen von anderen Kulturen.

Wie ist das Buch entstanden?

Wir lernten uns bei einem Workshop über Insider-Mediatoren_innen kennen. Das sind Mediatoren_innen, die in ihren eigenen Konfliktkontexten arbeiten. Später haben wir gemeinsam zahlreiche Mediationsworkshops geleitet. Ich fragte sie, ob sie für ein solches Buchprojekt offen wäre. Die Motivation war, ihr zu helfen, ihre Weisheiten, Reflexionen und Erkenntnisse aus ihren Erfahrungen einem breiteren internationalen Publikum zugänglich zu machen. Ich denke, sie sind sehr wertvoll für Menschen, die in fragilen Kontexten arbeiten, in denen dem Regierungssystem möglicherweise Legitimität oder Wirksamkeit fehlt. Ich denke, gerade im heutigen globalen Kontext, der sehr polarisiert und manchmal deprimierend ist, hat sie eine sehr starke Botschaft manifestiert und vermittelt, dass man Frieden schaffen kann, wenn man in kleinen Schritten arbeitet und seine Bemühungen koordiniert. Diese Hoffnung ist umso glaubwürdiger, da sie trotz vielen Herausforderungen und grossem Leid gewachsen ist. Dekha starb 2011 bei einem Autounfall, das hat das ganze Projekt ein wenig komplizierter gemacht. Ich habe mit ihrer Familie und ihren Kollegen zusammengearbeitet und viel direktes Interviewmaterial benutzt, um ihre ursprüngliche Stimme im Buch zu erhalten. Wir haben auch einige dieser Audioclips online gestellt, man kann sie auf unserer “Mediation and Gouvernance” Seite hören.

Hat sie Sie mit der Hoffnung auf Frieden inspiriert?

Auf jeden Fall! Es mag etwas seltsam klingen, aber ich vergleiche Friedensarbeit gerne mit kleinen, fleissigen Mäusen. Sie können leicht verletzt oder getötet werden, aber wenn sie schnell und flink sind, können sie sehr effektiv darin sein, einen Elefanten zu bewegen. In diesem Sinne, absolut, das Buch beinhaltet eine Botschaft der Hoffnung, aber eine, die bescheiden ist: Sie versucht nicht alles zu lösen, doch nur, weil man nicht alles lösen kann, bedeutet das nicht, dass man nicht versuchen sollte, zu lösen und verändern, was man kann.

Was ist Ihre aktuelle Einschätzung für den Frieden weltweit?

Gegenwärtig stehen wir vor vielen Herausforderungen. Ich beziehe mich vor allem auf diese Polarisierung in vielen Gesellschaften und zwischen Staaten, und den sehr starken Fokus auf Machtpolitik. Ich denke, es ist ein Kontext, in dem man versucht ist, die Friedensarbeit aufzugeben. Gerade unter solchen Bedinungen ist es umso wichtiger, dass Menschen, die für den Frieden kämpfen und sich investieren, sich gegenseitig helfen. Solche Menschen, die sich für Frieden engagieren, findet man in allen Gesellschaften auf der ganzen Welt. Es besteht ein echter Bedarf an mehr Solidarität. Wir sind alle unter Beschuss, und wir müssen zusammenhalten, um wirksam zu sein. Unter Druck kann man entweder zusammenbrechen und miteinander konkurrieren, oder man kann ihn als Anreiz für bessere Zusammenarbeit nutzen. Wie Dekha es ausdrückte: “Wenn man seine Energie mit anderen kombiniert, kann man Berge versetzen”.