N° 158
Dezember 2018
Demonstration der «Xinkas», die sich dafür eingesetzt haben, als indigenes Volk angesehen zu werden und so auch die Rechte der Indigenen zu haben. Auf ihren Transparenten steht «Ich bin Xinka». Bild von Calas

Aus Sicht einer entwicklungspolitischen NGO können wir leider nur feststellen, dass wir, trotz aller Erfolge in der Programmarbeit vor Ort, auf globaler Ebene den Kampf gegen Armut und Ungerechtigkeit zu verlieren drohen und umweltbezogene Konflikte zunehmen. Diese Erkenntnis hat Fastenopfer ermuntert, sich neuen strategischen Ansätzen zu öffnen, die systemischen Krisen mit systemischen Ansätzen entgegenwirken sollen.

Der 1,5-Grad-Bericht des IPCC hat uns 2018 erneut bestätigt, dass jede globale Erwärmung über 1,5 Grad fatale Folgen haben wird. Damit steht auch fest, dass das Temperaturziel von Paris mit 1,5 – 2 Grad nicht reichen wird. Hinzu kommt das eigentliche Problem, dass Paris zwar verbindlich ist, wir aber trotzdem nicht on track sind – bei den 2 Grad nicht und auch nicht bei den 1,5 Grad: «Es gibt keine Anzeichen für eine Umkehrung des Trends, der zu langfristigem Klimawandel, dem Meeresspiegelanstieg, der Versauerung der Meere und mehr extremen Wettersituationen beiträgt. Die CO2-Konzentration stieg nach Angaben der WMO im vergangenen Jahr auf 405,5 ppm, nach 403,3 im Jahr 2016». Die Wissenschaft hatte seit langem gewarnt, 350ppm nicht zu überschreiten. 1 Grad Erderwärmung sind bereits erreicht. Bereits in diesem Jahrhundert werden sich bei fortschreitendem CO2-Ausstoss die Natur und damit auch die Bedingungen für die Menschheit extrem verändern. Wetter und Temperaturextreme werden weite Teile der Erde unbewohnbar machen, Konflikte und Migration werden stark zunehmen. Es ist schon jetzt deutlich, dass der globale Süden von diesen Auswirkungen wesentlich stärker betroffen sein wird, als der Norden.

Neben der massiven Überlastung der Atmosphäre mit CO2, geht auch die Ressourcenausbeutung trotz aller Bekenntnisse zu Effizienz und zirkulären Verfahren ungebrochen voran. Die Rohstoffstrategien der USA, EU, Chinas und auch der Schweiz führen zusammen mit den Wirtschaftswachstumszielen der Rohstoffherkunftsländer zu einer Eskalation. Gerade im Umfeld der Ausbeutung natürlicher Ressourcen lassen sich soziale und gewaltsame Konflikte beobachten, denen die lokale Bevölkerung und zivilgesellschaftlichen Kräfte, die gegen Umweltvergehen und Menschenrechtsverletzungen angehen, zum Opfer fallen. Die Zahl der Betroffenen und Bedrohten nimmt zu wie auch ihr Widerstand – und parallel dazu die staatliche und parastaatliche Gewalt. Zum Beispiel in Brasilien: Dammbrüche haben in den letzten Jahren hunderttausende von Menschen Land, Wasserzugang und Gesundheit geraubt. Unter der neuen Regierung wird sich die Ausbeutung des Amazonasraums weiter fortsetzen.

Ähnliche, systemische Krisen verstärkende Faktoren liessen sich auf weiteren Gebieten beschreiben wie z.B. der Landwirtschaft oder dem globalen Finanzsystem. Vielfach spielen international operierende Unternehmen dabei eine wichtige Rolle, nicht wenige davon in der Schweiz ansässig.

Systemrelevante Ansätze für Veränderung

Mit systemischen Lösungsansätzen beschäftigen wir uns bei Fastenopfer seit 2017 verstärkt. Dafür haben wir transversal 3 Arbeitsschwerpunkte verankert. 1. Transformation: Diese Arbeit, die auf allen Ebenen von Fastenopfer relevant ist, verbindet die Entwicklung von Ansätzen, die einen tiefgreifenden Wandel von unten befördern wie politisches Engagement (z.B. Konzernverantwortung) oder persönlicher Lebensstilwandel (Transition Interieur).2. Internationale Programme, die in Entwicklungsländern transformative Prozesse auslösen helfen und uns mit den jeweiligen Partnerorganisationen politisch vernetzen, um dann gemeinsam auch international agieren zu können (z.B. im Rahmen der UN Verhandlungen in Genf zum Binding Treaty on Business and Human Rights). 3. Die Förderung von systemischen Alternativen wie die Gemeinwohlorientierung der Wirtschaft, Agrarökologie, erneuerbare Energiesysteme oder Gendergerechtigkeit.

Wir gehen davon aus, dass folgende Ansätze besonders systemrelevant sind und dazu beitragen können, das aktuelle Paradigma zu überwinden:

1) Anerkennen, dass es systemische Ursachen für Krisen wie den Klimawandel gibt. Dazu gehört z.B. die ungleiche Nutzung bzw. Verschmutzung der Atmosphäre als Gemeinschaftsgut wie auch ein auf fossile Brennstoffe aufbauender Wohlstand.

2) Es gibt Gemeinsamkeiten zwischen den globalen Trends und die Krisen verstärken sich gegenseitig. Schon beim UN-Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro wurde gefordert, die Politik auf die Interdependenz ökologischer, ökonomischer und sozialer Problemdimensionen auszurichten.

3) Es bedarf ganzheitlicher Lösungen. Viele der heutigen sogenannten Lösungen sind falsche Lösungen mit Rebound-Effekten. Dazu gehören Agrartreibstoffe, sparsame Autos, die Leute vom Zug aufs Auto wechseln lassen, oder auch Mega-Staudämme im Amazonas zur Erzeugung erneuerbarer Energien. Die Agenda 2030, mit ihrem, soziale und ökologische Fragen vernetzenden Ansatz, kann hier eine wichtige Rolle spielen. Auch ihr Ansatz, dass alle Länder Entwicklungsländer sind und es entsprechend im Süden wie Norden eine tiefgreifende Transformation braucht, ist zielführend – auch wenn die Agenda 2030 im industriellen Wachstumsmodell verhaften bleibt.

4) Suffizienz: Es gilt den Ressourcendruck auf das System Erde erheblich zu reduzieren, um nicht weitere ökologische Systeme kollabieren zu lassen. Bisher ist es uns gelungen, über Entkopplung jeden Franken Bruttoinlandsprodukt ökoeffizienter zu produzieren. Die Energieeffizienz ist in Europa zwischen 1990-2015 um 50% gestiegen. Das in der Zeit generierte Wirtschaftswachstum hat diese Erfolge aber bereits wieder aufgehoben. Ein entscheidender Faktor wären verbindliche Grenzen des Konsums. „Die Kombination aus ökologischen Effizienzsteigerungen und verändertem Verbraucherverhalten ermöglicht eine ‚doppelte Entkopplung‘. Diese soll es ermöglichen allen 10 Milliarden Menschen, die für Mitte des Jahrhunderts zu erwarten sind, ein gutes Leben innerhalb planetarischer Grenzen zu ermöglichen.“

5) Freiwillige Verhaltenskodizes und Corporate Social Responsibility sind völlig unzureichend angesichts der globalen Krisen. Zudem werden Abkommen und Gesetze im Bereich Nachhaltigkeit und Menschrechte zunehmend von Handels- und Investitionsschutzabkommen unterlaufen. Gefragt sind Ansätze wie sie die Konzernverantwortungsinitiative anbietet: Schützenswertes verbindlich zu machen.

6) Schliesslich gilt es bestehenden Alternativen und alternativen Ansätzen das nötige Gewicht zu geben im gesellschaftlichen Diskurs. Es gibt kein „one size fits all“ Modell, es geht nicht um Sozialismus vs. Kapitalismus. Aber vielleicht um einen anderen Kapitalismus oder um eine Kombination von Konzepten, so wie es der international bekannte Aktivist Pablo Solón sieht. In einem von Fastenopfer unterstützten Projekt hat Solón systemische Alternativen zum globalen Kapitalismus gegenübergestellt: Buen Vivir, Degrowth, Commons, Ökofeminismus, Rechte der Mutter Erde und Deglobalisierung. «Wir erleben eine systemische Krise, die nur auf zufriedenstellender Weise angegangen werden kann, wenn dabei vielfältige Sichtweisen zusammengebracht und weiterentwickelt werden. Die Antwort auf die systemische Krise erfordert Alternativen zum Kapitalismus, zum Produktivismus, zum Extraktivismus, zur Plutokratie, zum Patriarchat und zum Anthropozentrismus.»

Fastenopfer bringt sich mit dieser «work in progress» in den gesellschaftlichen Diskurs über Wandel ein. Auch in der Hoffnung, dass der Wandel, der uns bevorsteht, als etwas Positives, als Chance gesehen wird. Der IST-Zustand, ganz ohne Horror- Klimaszenarien, ist bereits moralisch unerträglich. Aber es keimen im Süden wie Norden Nischen des Wandels. Sie zu priorisieren, ist eine Chance, die wir nicht verpassen sollten, bevor uns klimatische und gesellschaftliche Tipping Points die Tür für ein menschliches Zusammenleben und vielleicht sogar Überleben versperren.