Black Lives Matter, Juni 2020, CIPÓ

Der gewaltsame Tod von George Floyd hat im vergangenen Jahr Hunderttausende auf die Strasse getrieben und den Black Lives Matter-Bewegungen weltweit Auftrieb verliehen. Auch in Brasiliens Armenvierteln ist Polizeigewalt an der Tagesordnung. Doch der Widerstand in der Bevölkerung wächst. Basisbewegungen wehren sich gegen strukturelle Gewalt und Rassismus.

2019 töteten brasilianische Sicherheitskräfte 6‘357 Menschen. Die Zahl der tödlichen Opfer von Polizeigewalt nahm das sechste Jahr in Folge zu. UNDOC stuft die Rate der durch die Polizei verursachten Tötungen viermal höher als in den USA ein.

Jair Bolsonaro rechtfertigt die exzessive Gewaltanwendung der Sicherheitskräfte mit seinen Hetzreden. Die meisten Opfer von Polizeigewalt sind schwarz, männlich und arm. Mehr als die Hälfte (55%) von ihnen sind zwischen 15 und 25 Jahre alt.

Einer der Gründe für die staatlich verursachten oder tolerierten Morde an der Zivilbevölkerung liegt in der gesellschaftlichen Akzeptanz von Gewalt, die ihre Wurzeln in der Geschichte der Sklaverei hat.

Bis heute ist die Geschichte der systematischen Diskriminierung und Ausbeutung nicht aufgearbeitet und wirft ihren Schatten auf die heutigen gesellschaftlichen Strukturen. Der strukturelle Rassismus besteht weiterhin in den ungleichen gesellschaftlichen Strukturen fort. Strafrechtspraxis und Polizeigewalt tragen zur Perpetuierung sozialer Ausschlussmechanismen bei.

Statt die tieferen Ursachen dieser Gewalt anzugehen, setzt die Regierung Bolsonaro auf eine Politik “der harten Hand”. Der vorherrschende sicherheitspolitische Diskurs lautet: Drogenhandel und Kriminellen ist nur mit möglichst gewaltsamen Mitteln beizukommen. Entsprechend werden bei Gewalttaten von Polizist_innen oft beide Augen zugedrückt. Der Einsatz tödlicher Gewalt wird oft als unvermeidlicher Preis für die Sicherheit dargestellt.

Mit hochpotenten Kriegswaffen führen Polizist_innen auf staatliches Geheiß einen “Krieg gegen Drogen und Kriminelle”, nehmen das Gesetz oft in die eigene Hand und sind zum Teil auch direkt in kriminelle Aktivitäten involviert. Bei ihren Einsätzen in den Favelas gefährden sie häufig unbeteiligte Passant_innen, oftmals auch Kinder und Jugendliche. Allein in Rio de Janeiro wurden 2020 62 Kinder von Querschlägern bei Schusswechseln getroffen, 26 starben an den Folgen.

Gegen die Straflosigkeit

Die fatalen Folgen dieser repressiven und militarisierten Sicherheitspolitik dokumentieren die Projektpartner_innen von terre des hommes schweiz in den Favelas von Salvador und Recife, wo Basisorganisationen mit Sozialprogrammen für Jugendliche die Wurzeln der Gewalt anpacken. Sie kämpfen gegen die Straflosigkeit der Gewaltverbrechen der Polizei. Die Jugendgruppen der Partnerorganisation CIPÓ analysieren die strukturellen Ursachen der Gewalt und entwickeln gemeinsam gewaltfreie Ansätze, um sich gegen die Stigmatisierung in ihrem Alltag zu wehren.

Mit ihren beharrlichen öffentlichen Protesten gegen die Straflosigkeit bei polizeilicher Willkür und gegen gesetzeswidrige Übergriffe durch die Polizei haben die Jugendlichen von CIPÓ einen Teilerfolg erzielt: Die jungen Aktivist_innen wurden im Parlament des Bundesstaates Bahia angehört und konnten eine Untersuchungskommission zu Fällen von Polizeigewalt einfordern.

Woher kommen die Waffen?

Um herauszufinden, inwieweit Polizeikräfte, die nachweislich schwere Menschenrechtsverletzungen begangen haben, mit Schweizer Waffen ausgerüstet werden, hat terre des hommes schweiz zusammen mit Terre des Hommes Deutschland eine Studie in Auftrag gegeben. Diese vertiefte Analyse mit mehreren Fallbeispielen zu Polizeigewalt wird im Mai 2021 veröffentlicht.