Flüchtlingslager in Syrien. DEZA
Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) Barbara Affolter conflictandhumanrights@eda.admin.ch Policy Advisor Fragility, Conflict and Human Rights, Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) Carol Mottet carol.mottet@eda.admin.ch Senior Advisor, Abteilung Frieden und Menschenrechte

Gewalt: Die Spitze des Eisbergs aus Fragilität

Gewaltprävention aus Sicht der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA)       

Wenn Gewalt die sichtbare Spitze des Eisbergs der Fragilität ist, muss die Gewaltprävention den gesamten Eisberg anpacken. Das heisst alle Fragilitätsprobleme, die Gewalt verursachen können, wie etwa der Mangel an sozialem Zusammenhalt und Perspektiven, fehlende Verantwortung vonseiten des Staates und seiner Institutionen oder ein hohes Mass an Korruption, Ausgrenzung und wahrgenommener Ungerechtigkeit, müssen angegangen werden. Der Begriff Gewalt umfasst häusliche, sexuelle, sexistische, kriminelle, ideologisch und politisch motivierte Gewalt sowie Bandengewalt. Diese Fragilitätsprobleme können in extremistischer Gewalt münden. Seit Jahren beschäftigt das Thema Prävention von gewalttätigem Extremismus zahlreiche internationale Akteur_innen und Entscheidungsträger_innen und regt zu wichtigen politischen Diskussionen und operativen Entwicklungen für die Ausarbeitung von Präventionsstrategien an. Inzwischen ist Gewaltprävention allgemein in den Fokus der internationalen Zusammenarbeit gerückt.

Fragilität, Konflikte und Gewalt stellen grosse Herausforderungen dar, die Entwicklungsmassnahmen ausbremsen oder zunichtemachen können. Konflikte und Gewalt beeinträchtigen das Leben von Millionen Menschen und sind für einen Grossteil des Bedarfs an humanitärer Hilfe auf der Welt verantwortlich, denn sie führen zu Vertreibung, zerstören Lebensgrundlagen und zerschlagen Chancen für Wachstum, Entwicklung und Wohlstand. Für die DEZA ist der Umgang mit den besonderen Herausforderungen dieser fragilen Kontexte eine strategische Priorität. Die zunehmende Einbindung der Schweiz in fragile oder konfliktbetroffene Regionen erfordert nachhaltiges Engagement, das mit einer anpassungsfähigen Herangehensweise verbunden ist, sowie vollkommenes Verständnis der Fragilität in all ihren Aspekten und in ihrer ganzen Komplexität.

Anhand von Ansätzen für die Prävention und Transformation von Konflikten und Gewalt sollen politische und soziale Konflikte mit friedlichen Mitteln verhindert oder positiv verändert werden. Dies geschieht beispielsweise durch die Förderung friedlicher, gerechter und inklusiver Gesellschaften (Agenda 2030, SDG 16+). Krisenausbrüche zu verhindern reicht nicht aus, um Gewalt und Konflikten vorzubeugen oder sie zu transformieren. Stattdessen gilt es, die tieferen Ursachen von Spannungen und Konflikten anzupacken. Nur so kann der “Weg aus der Fragilität” gelingen und eine Wiederholung von Gewalt ausgeschlossen werden. Die Verteidigung einer starken Gesellschaft, die auf demokratischen Werten und guter Regierungsführung beruht, ist ein wesentlicher Faktor für Konflikt- und Gewalttransformation.

Das Ziel besteht darin, wiederkehrende Gewaltzyklen mittels Beseitigung der grundlegenden Konfliktursachen und unter Berücksichtigung staatsbildender Faktoren zu durchbrechen, um eine gute rechtsstaatliche Regierungsführung aufzubauen, die Zivilbevölkerung zu schützen, Menschenrechte zu wahren und auf diese Weise die Prävention oder Transformation von Konflikten und Gewalt zu unterstützen. Um sicherzustellen, dass wir angemessen auf Fragilitäts-, Konflikt- und Gewaltfaktoren einwirken, müssen Theorien des Wandels in fragilen, konfliktbetroffenen Regionen explizit mit einer Analyse des Umfelds, des Konflikts und der politischen Ökonomie verknüpft werden.

Gewalttätiger Extremismus lässt sich in fragilen Kontexten nicht klar von anderen Formen von Gewalt trennen. Es gibt keine gemeinsame internationale Definition. Die Komplexität von gewalttätigem Extremismus wird durch seinen politischen – und daher sensiblen – Charakter auf nationaler und internationaler Ebene sowie die Vielzahl an beteiligten Akteurinnen und Akteuren zusätzlich erhöht. Für die DEZA kann gewalttätiger Extremismus sowohl Ursache als auch Auswirkung von Fragilität sein. Deshalb betrachtet sie die Konfliktdynamik, die menschenrechtlichen Folgen und die potenziellen Risiken aus einer möglichst ganzheitlichen Perspektive.

 

Gewalttätiger Extremismus und der Umgang damit auf dem Prüfstand

Gewaltprävention aus Sicht der Abteilung Frieden und Menschenrechte des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA)     

Seit jeher neigen Regierungen dazu, auf die Gewalt eines bewaffneten Aufstandes ebenfalls mit Gewalt zu reagieren. Um das Feuer möglichst schnell zu löschen, werden als Erstes die Feuerwehrleute (also die Streitkräfte) entsandt.

Die Szenarien wiederholen sich: Bevölkerungsgruppen, die diskriminiert oder politisch und wirtschaftlich übersehen werden (vor allem fernab der grossen Städte), geballte Unzufriedenheit, Ausnutzung der Spannungen durch diverse Gruppen, welche die etablierte Ordnung umstürzen wollen, Gewalt, Unterdrückung – eine endlose Gewaltspirale.

So zumindest ist die Welt bis Mitte des vergangenen Jahrzehnts mit gewalttätigem Extremismus umgegangen, bis sich der UNO-Generalsekretär mit Nachdruck dagegen aussprach: Man müsse die Ursachen (und nicht die Auswirkungen) von Gewalt anpacken und die direkte Begegnung mit den betroffenen Bevölkerungsgruppen suchen. Regierungen, Streitkräfte, Politikerinnen und Politiker, Intellektuelle, Medien, die gesamte Gesellschaft – sie alle seien für diese Gewalt verantwortlich. Deshalb müssten sie gemeinsam gegen die Bedrohung des Extremismus vorgehen, nicht nur durch den Versuch, diejenigen auszuschalten, die Gewalt propagieren, sondern auch durch die Beseitigung der Ungleichgewichte, die diese Gewalt nähren. Gemeinsam? Genau darin besteht die Schwierigkeit, aber auch die Lösung.

Die Schweiz ist diesem Appell als eines der ersten Länder gefolgt. 2016 lancierte sie ein Programm zur Prävention von gewalttätigem Extremismus in Afrika und im Mittleren Osten und plädiert seitdem unentwegt für einen ganzheitlichen Politik- und Sicherheitsansatz, der in erster Linie die Bevölkerung berücksichtigt (die sogenannte menschliche Sicherheit). Die Anzahl der Treffen zwischen lokalen, nationalen und internationalen Verantwortlichen wurde auf rund 50 erhöht. In etwa 30 Ländern brachte die Schweiz Militärangehörige, Minister_innen, Jugendliche, Journalist_innen sowie hohe Funktionärinnen und Funktionäre an einen Tisch. Über 2000 Personen beteiligten sich an diesen Bemühungen um einen Dialog – häufig zu ihrer eigenen Überraschung.

Denn es geht tatsächlich darum, einen Dialog zu führen. Frei nach der typisch schweizerischen Überzeugung, dass es immer eine Lösung gibt, sofern man den anderen zuhört und miteinander redet, trat das EDA an die verschiedenen von extremer Gewalt betroffenen Kreise heran und veranstaltete grenzüberschreitende und generationenübergreifende Begegnungen mit unterschiedlichen Standpunkten sowie verschiedenen kulturellen und geografischen Hintergründen. Jedes Mal galt es, Fragen aufzuwerfen und diejenigen wachzurütteln, die keine anderen Auswege als die bereits bekannten sahen.

Doch was wurde aus diesen Erkenntnissen, nachdem alle wieder nach Hause zurückgekehrt waren? Wie wurde diese Kultur des Austausches und der gegenseitigen Akzeptanz, die der Weg zum Frieden ist, in der Politik und den einzelnen Entscheidungen der Teilnehmenden konkret umgesetzt, denn das war ja gerade die Herausforderung des Programms? Um dies herauszufinden, hat das EDA kürzlich eine Untersuchung durchgeführt, deren Ergebnisse demnächst veröffentlicht werden sollen.

 

 

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