Casa del Migrante Saltillo im Bundesstaat Coahuila, Mexiko, bietet MigrantInnen auf ihrem Weg Richtung USA eine sichere Unterkunft, 2015, Peace Brigades International
Peace Brigades International Tanja Schindler tanja.schindler@peacebrigades.ch Praktikantin Peace Brigades international Katia Aeby katia.aeby@peacebrigades.ch Direktorin

Die Corona-Krise stellt Mexiko im Gesundheits- und Migrationsbereich vor grosse Herausforderungen. Menschenrechtsverteidiger_innen tragen auf beiden Gebieten zur Lösungsfindung bei. Dafür benötigen sie aber öffentliche Anerkennung, Schutz und Ressourcen.

Covid-19 trifft Mexiko hart. Anfangs Juni 2020 sprach die Johns Hopkins Universität von über 93‘000 Infizierten und mehr als 10‘000 Toten. Mitte März 2020 rief der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador den Notstand aus; alle nicht-systemrelevanten Sektoren wurden geschlossen und die Bewegungsfreiheit vielerorts eingeschränkt. Seit dem 18. Mai werden in Gebieten mit wenigen Infizierten bereits manche Einschränkungen wieder aufgehoben, und das trotz steigender Fallzahlen im ganzen Land.

Gewalt hält sich in Mexiko währenddessen nicht an Quarantäne-Massnahmen. Zwischen Januar und März 2020 wurden über 8‘500 Morde begangen, 13.5% mehr als in der gleichen Zeitspanne im Vorjahr. Zudem verzeichnete die mexikanische Regierung zwischen dem 15. März 2020 und Ende April 2020 44 Angriffe und 4 Morde an Menschenrechtsverteidiger_innen (MRV).

 

Corona-Pandemie verschärft Situation für Asylsuchende

Die aktuellen Massnahmen zur Eindämmung von Covid-19 haben gravierende Folgen für asylsuchende Frauen, Männer und Kinder, die mehrheitlich aus Zentralamerika stammen und auf ihrem Weg in die USA in Mexiko ausharren müssen. Die Behörden räumten staatliche Migrationszentren so weit, dass Abstands- und Hygieneregeln durchgesetzt werden können oder schlossen sie ganz. In mehreren der über 60 staatlichen Migrationszentren protestierten Migrant_innen gegen fehlendes Schutzmaterial und forderten die Rückreise in ihre Herkunftsländer. Die Nationalgarde reagierte auf die Proteste mit teilweise exzessiver Gewalt.

Die meisten Migrant_innen, die keinen Platz mehr in den staatlichen Zentren hatten, wurden in ihre Heimatländer zurückgeschafft. Die zentralamerikanischen Länder haben aber temporär ihre Grenzen geschlossen, sodass Menschen auf dem Rückweg irgendwo stecken bleiben. Dieses Problem und die Tatsache, dass manche Personen sich in Mexiko mit dem Virus angesteckt haben, wurden bei der Räumung der staatlichen Migrationszentren kaum berücksichtigt.

Auch die zahlreichen von Kirchen und NGOs geführten Migrant_innenherbergen können aufgrund der Hygienevorschriften keine neuen Personen aufnehmen und geraten, da ohne staatliche Hilfe, zunehmend unter Druck. Noch mehr Migrant_innen als zuvor müssen auf der Strasse leben, wo sie Gewalt durch kriminelle Banden, Festnahmen und Diskriminierung sowie verstärkt gesundheitlichen Risiken durch Covid-19 ausgeliefert sind.

Diese Lage betrifft enorm viele Menschen in Mexiko, denn jedes Jahr reisen hunderttausende Migrant_innen ohne Dokumente durch das Land, um in die USA zu immigrieren. Seit Januar 2019 dürfen Asylsuchende unter der US-Migrationspolitik «Remain in Mexico» nicht mehr in den USA auf den Entscheid ihres Gesuchs warten. Obwohl die US-amerikanische Justiz selbst noch nicht abschliessend entschieden hat, ob diese Vorgehensweise legal ist, hat sie deren Durchsetzung während der Corona-Pandemie erlaubt. Bis Mitte Mai 2020 wurden über 60’000 Personen nach Mexiko zurückgeschickt und es wurden mehr als 1’000 Übergriffe wie Mord, Folter, Vergewaltigung und Entführung an jenen zurückgehaltenen Asylsuchenden und Migrant_innen verzeichnet.

 

Menschenrechtsverteidiger_innen als Brückenbauer_innen

Die Situation für Migrant_innen und Asylsuchende ist also ernst: Sie sind in Mexiko gestrandet, wo die Bevölkerung selbst keine verlässlichen Informationen über die gesundheitliche Lage im Land hat. Gewalt dominiert die Strassen, allgemeine Unsicherheit über die Zukunft macht sich breit. Wie die Anwältin Ana Lilia Amezcua Ferrer schreibt, braucht es nun transparente Massnahmen, die in der Gesellschaft Vertrauen schaffen. MRV sind dabei wichtige Akteure, da sie unabhängig von Regierungen agieren und somit Brücken zwischen Staat, Bevölkerung und Migrant_innen bauen können. So wird der Schutz der Letzteren gefördert und das Konflikt- und Gewaltpotenzial reduziert.

Peace Brigades International (PBI) unterstützt in Mexiko die Migrant_innenherberge „Casa del Migrante Saltillo“, im nördlichen Bundesstaat Coahuila. Diese nicht-staatliche Unterkunft bietet Migrant_innen auf ihrer Durchreise humanitäre Hilfe sowie psychologische und rechtliche Begleitung. PBI unterstützt die aufgrund ihrer Arbeit gefährdeten Mitarbeiter_innen der Herberge durch gewaltlose Schutzbegleitung. Diese konzentriert sich während Covid-19 auf regelmässigen Telefonkontakt, Informations- und Vernetzungsarbeit auf nationaler und internationaler Ebene sowie auf Advocacy-Arbeit mit mexikanischen und internationalen Behörden.

Die Situation der Migrant_innen verlangt gerade während der Corona-Krise verstärkte öffentliche Aufmerksamkeit, internationale Unterstützung und gleichzeitig Druck, damit der mexikanische Staat seiner Pflicht nachkommt, das Wohlbefinden der Migrant_innen zu garantieren. MRV müssen ihrerseits von staatlicher Seite anerkannt, geschützt und finanziell unterstützt werden, um den Tausenden von Migrant_innen in Mexiko zur Seite zu stehen.

Indem Migrant_innen in Mexiko geholfen wird, kann eine grosse Gruppe an Menschen erreicht werden, denn die Auswirkungen der Migrations- und Asylpolitik sind in der ganzen Region zu spüren. Humanitäre Hilfe und die Umsetzung der Rechte von Migrant_innen sind in dieser Krisenzeit grundlegend, um Frieden in Mexiko zu fördern.

Peace Brigades International Tanja Schindler tanja.schindler@peacebrigades.ch Praktikantin Peace Brigades international Katia Aeby katia.aeby@peacebrigades.ch Direktorin