N° 153
Dezember 2017
Global Forum on Migration and Development (GFMD) 2016 in der Eingangshalle zur Konferenz in Dhaka, Bangladesch, in der alle Teilnehmenden eine Botschaft an die Staatengemeinschaft vortragen. Foto von Caritas Schweiz
Caritas Schweiz Peter Aeberhard paeberhard@caritas.ch Koordinator der md-platform swisspeace Sidonia Gabriel sidonia.gabriel@swisspeace.ch Leiterin der Policy & Platform und des KOFFs Helvetas Swiss Intercooperation Geert van Dok geert.vandok@helvetas.org Experte für Entwicklungspolitik

Flucht und Vertreibung sind meist die direkte Folge von Gewaltkonflikten, politischer Verfolgung oder den Auswirkungen des Klimawandels. Entwicklungszusammenarbeit und Friedensförderung gehen mit ihren langfristig angelegten Arbeitsansätzen die tieferen Migrationsursachen wie Armut, Ausgrenzung, Segregation und Ausbeutung an und tragen dazu bei, jene sozio-politischen und ökonomischen Bedingungen zu schaffen, die einer erzwungenen Migration entgegenwirken. Gleichzeitig wirken sie darauf hin, Migrationskorridore sicherer zu machen und die Rechte von Flüchtlingen und intern Vertriebenen zu schützen. Letzteres ist für die Schweiz, die Frieden und Menschenrechte in ihrer Verfassung verankert hat, von besonderer Bedeutung. Es geht um eine solidarische und kohärente Aussenpolitik – Migrations-, Friedens- und Entwicklungspolitik –, die besonders verletzliche Menschen vor den gewaltsamen Auswirkungen von Konflikten schützen und darauf achten soll, dass die Vulnerabilität von Migranten/-innen nicht für politische Zwecke missbraucht wird. Doch darf man die Grenzen der genannten Instrumente nicht verkennen: Weder die Friedens- noch die Entwicklungszusammenarbeit können unmittelbare, aus der Not entstehende Migration verhindern. Hier falsche Hoffnungen zu schüren und politischen Druck aufzusetzen, wäre fahrlässig und kontraproduktiv.

Im Folgenden soll versucht werden, die Instrumente der Friedensförderung ähnlich wie jene der Entwicklungszusammenarbeit mit den migrationsspezifischen Herausforderungen in Konflikt- oder Postkonfliktkontexten zu verknüpfen. Dies ist weitgehend neu. Ein Interesse seiner Trägerorganisationen vorausgesetzt, wird KOFF dazu in Zukunft einen gemeinsamen Reflexionsprozess in Angriff nehmen.

Impulse der Entwicklungszusammenarbeit

Migrationsprozesse sind komplex, insbesondere in Konflikt- oder Postkonfliktkontexten. Situationen verändern sich stetig, und es gibt kaum oder keine staatlichen Strukturen, die mit den Herausforderungen umgehen können oder wollen. Nebst anerkannten Flüchtlingen, deren Status und Schutz in multilateralen Regelwerken festgelegt sind, steigt die Zahl jener Schutzsuchender und intern Vertriebener, deren rechtliche Situation nicht geklärt ist, was ihre Verletzlichkeit weiter erhöht.

In dieser Situation vermögen Entwicklungsorganisationen mit ihrem Kernauftrag, Armut und Ausgrenzung zu bekämpfen, situativ und punktuell Verbesserungen zu bringen und langfristig Impulse zur Minderung einzelner Migrationsursachen zu geben: So engagieren sie sich zum Beispiel in der Infrastruktur und (Berufs-)Bildung, unterstützen Menschen in nachhaltiger Landwirtschaft und der Steigerung der Wertschöpfung, setzen sich für die Schaffung von Arbeitsplätzen und menschenwürdigen Arbeitsbedingungen ein und bekämpfen Missstände in der armutsindizierten Arbeitsmigration (u.a. Menschenhandel). Die Entwicklungszusammenarbeit kann aber keine direkte migrationspräventive Wirkung entfalten.

Das gilt auch für das Engagement der Diaspora, deren Rolle seit geraumer Zeit vermehrt auf der internationalen Migrationsagenda steht: Sie überweist im grossen Ausmass Remissen nach Hause und verfügt über das Potential, vielversprechende Projekte in Herkunftsländern zu realisieren. Die Diaspora steht damit für den positiven Beitrag von Migration und die Bedeutung von Mobilität, wie sie in der «Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung» festgehalten ist.

Potentiale der Friedensförderung

Die migrationsbezogene Bedeutung der Friedensförderung kann in vier Phasen ausgemacht werden: Die erste Phase betrifft die Flucht aufgrund von Kampfhandlungen gegen bestimmte politische oder ethnische Gruppen und deren Angehörige. Friedensförderung arbeitet insbesondere über Mediationsprozesse und lokale Waffenstillstandsabkommen, wenn immer möglich inklusiv. Alle Seiten sollen direkt oder indirekt einbezogen werden. Dies führt zu Vereinbarungen, welche die traditionellen Gouvernanz-Strukturen berücksichtigen, die Bedürfnisse der verschiedenen Bevölkerungsteile einbeziehen und somit den Menschen nach dem Ende der Gewalthandlungen die Möglichkeit geben zu bleiben.

Die zweite Phase betrifft die Situation von Menschen auf der Flucht: Insbesondere über die Mediation hat die Friedensförderung privilegierte Zugänge zu bewaffneten Gruppen, die wie im Sahel den Menschenhandel entscheidend unterstützen oder gar selbst daran beteiligt sind. Diesen Gruppen die Rechte von Flüchtlingen bewusst zu machen, steht normalerweise nicht im Zentrum der Friedensarbeit, könnte aber ein Anreiz für bewaffnete Gruppen sein, sich zur Respektierung von Würde und Rechten von Migranten/-innen zu verpflichten, zumal sie auch auf internationaler Ebene anerkannt und ernst genommen werden wollen. Dieser Ansatz ist sehr heikel, wäre aber zu überprüfen. In der humanitären Mediation gibt es dazu bereits Erfahrungen.

Die dritte Phase betrifft die Rückkehr: Während der Verhandlungen über ein Friedensabkommen werden die Menschen in Flüchtlingslagern und IDP-Camps zu ihren Anliegen befragt, die dann im Abkommen aufgenommen und garantiert werden müssen. Gefragt wird insbesondere nach den Bedingungen, unter denen sie nach einem Gewaltkonflikt zurückzukehren bereit wären. Dieser Ansatz wurde in Mali gewählt, führte aber bisher nicht zu einer grossflächigen Rückkehr, da der Friedensprozess bis heute stockt und kaum Vertrauen in die staatlichen Institutionen und nichtstaatlichen Gruppen aufgebaut werden konnte.

Die vierte Phase betrifft die Übergangsjustiz und Bewältigung von Vergangenheit: Konflikte, Flucht und Rückkehr sind mit traumatisierenden Erfahrungen verbunden, welche nicht nur Individuen, sondern Bevölkerungsgruppen, staatliche und private Institutionen sowie deren Angestellte (Polizei, Militär usw.) betreffen. Die Wiedererlangung von Frieden bedingt eine Aufarbeitung der Vergangenheit, die das Recht beinhaltet, die Wahrheit zu kennen, Gerechtigkeit zu erfahren und allenfalls Entschädigungen zu erhalten, sowie gewisse Garantien für die Schaffung von Stabilität. Diese Massnahmen können vertrauensbildend wirken, sodass eine Rückkehr ins Herkunftsland möglich wird.

Auf dem Weg zum «Global Compact on Migration»

Im (inter)nationalen Politikdialog bilden sich drei Schwerpunkte heraus: (1) Staatliche Verwaltungen und insbesondere politische Akteure streben eine Steuerung von Migration an. (2) Zivilgesellschaftliche Akteure fokussieren auf das Einhalten der Menschenrechte und Verankern menschenwürdiger Bedingungen für jene, die vertrieben werden oder bereits auf der Flucht sind. (3) Die Agenda 2030 hat sowohl die Herkunfts- als auch die Zielländer im Blick und will den unterschiedlichen Interessen der UN-Mitglieder gerecht werden. Die UNO versucht, diese unterschiedlichen Interessen in einem von allen Staaten mitgetragenen, globalen Rahmen zusammen zu bringen: Mit dem Ausarbeiten der beiden Abkommen für Flüchtlinge (Global Compact on Refugees) und zur Migration (Global Compact on Migration) will sie einen umfassenden Dialog initiieren, der – beruhend auf den Menschenrechten – Migration, Mobilität und nachhaltige Entwicklung zusammenführt.

Auf globaler Ebene weist die Agenda 2030 in mehr als zehn Unterzielen auf die positive Bedeutung von Migration und deren Beitrag zur Erreichung der «Ziele für nachhaltige Entwicklung» (SDGs) hin. Ihre Umsetzung in den Bereichen Armutsbekämpfung und Konfliktbewältigung wird jedoch auf nationaler Ebene auf ein reaktives Migrationsmanagement treffen. Dieser Dissens muss auf globaler Ebene im Rahmen der Abkommen bearbeitet und überwunden werden. Zivilgesellschaftliche Akteure fordern, dass der Schutz von Migranten/-innen im internationalen Regelwerk verbessert und der Dialog auf die nationale Ebene weitergetragen wird. Für die Schweiz muss dies heissen, dass sich die involvierten staatlichen und nichtstaatlichen Akteure rasch zum Politikdialog rund um den Global Compact on Migration versammeln sollten, um die Herausforderungen zu diskutieren und möglichst konkrete Empfehlungen auszuarbeiten. Orte wie die md-platform und KOFF können dazu Hand bieten.

Caritas Schweiz Peter Aeberhard paeberhard@caritas.ch Koordinator der md-platform swisspeace Sidonia Gabriel sidonia.gabriel@swisspeace.ch Leiterin der Policy & Platform und des KOFFs Helvetas Swiss Intercooperation Geert van Dok geert.vandok@helvetas.org Experte für Entwicklungspolitik