Edna Ortega
Interview mit Edna Ortega, Koordinatorin Honduras bei Brücke – le pont edna.ortega@bruecke-lepont.org Interviewerin Amélie Lustenberger, Communications Officer at swisspeace amelie.lustenberger@swisspeace.ch

Gewaltverbrechen sind in Honduras seit Jahren ein Thema von öffentlichem Interesse und werden als Entwicklungshindernis wahrgenommen. Um das Problem der Jugendgewalt anzugehen, hat die Regierung umstrittene Assistenzprogramme ins Leben gerufen. Zivilgesellschaftliche Organisationen sehen sie als einen weiteren Beitrag zur Militarisierung der Gesellschaft. Seit dem Putsch gegen Manuel Zelaya 2009 hat sich die Menschenrechtssituation in Honduras generell drastisch verschlechtert. Derzeit ist Juan Orlando Hernández das Staatsoberhaupt des Landes. Seine erste Wahl fand 2013 in einem Klima sozialer Spannungen statt und bleibt umstritten.

In diesem Interview erklärt Edna Ortega, wie sich diese heikle Situation auf Frauen und Frauenrechtsorganisationen in Honduras auswirkt. Sie ist Juristin und arbeitet für Brücke – le pont als lokale Koordinatorin der Entwicklungsprogramme in Honduras. Im Rahmen ihres Engagements beschäftigt sie sich intensiv mit Themen wie Menschenrechte, Frauenrechte, Arbeitsrechte und Kinderrechte.

Können Sie die Situation der Zivilgesellschaft in Honduras beschreiben?

Unsere Regierung hat diktatorische Züge und vor allem feministische NGOs wiedersetzen sich ihr. Die meisten NGOs halten die aktuellen Machthaber für illegitim und es gibt keine Gespräche zwischen den beiden Seiten. Es besteht auch ein Mangel an Respekt zwischen der Regierung und sozialen Bewegungen, einschliesslich NGOs, insbesondere, wenn sie unterschiedliche Meinungen vertreten.

Warum lehnen die NGOs die Regierung ab?

Weil die Wahlen weder frei noch fair waren. Die Regierung tut alles, um an der Macht zu bleiben. Sie hat sogar die Verfassung geändert.

Unterdrückt die Regierung Frauen?

Seit dem Amtsantritt der jetzigen Regierung kam es zu mehreren Rückschlägen in Bezug auf das Völkerrecht, inklusive der Achtung der Frauenrechte. Früher hatte die Leiterin des nationalen Instituts für Frauen den Rang eines Ministers. Jetzt verschwinden Frauen aus Führungspositionen in der Regierung und die Frauenbüros verlieren jegliche Entscheidungsbefugnis. Strukturen, welche die Rechte der Frauen garantieren, fehlen und werden meist nur für Propagandazwecke und staatliche Assistenzprogramme genutzt.

Ein weiteres grosses Problem in Honduras sind Femizide – Morde an Frauen aufgrund ihres Geschlechts. Am stärksten betroffen sind junge Frauen. Im Jahr 2017 wurden beispielsweise über 380 Femizide gemeldet. 2018 war noch schlimmer: Im Januar wurden 52 Frauen von ihren Partnern allein in San Pedro Sula und Tegucigalpa getötet – zwei der gefährlichsten Städte für Frauen im Land. Die lokalen Behörden bleiben in der Regel inaktiv und die meisten Morde werden nie aufgeklärt.

Welche Rolle spielen die Frauen in Honduras im Zusammenhang mit der Bandengewalt?

In Honduras haben wir ein grosses Problem mit Bandengewalt, insbesondere im Zusammenhang mit dem Drogenhandel. Kriminelle Männer zwingen ihre Partnerinnen oft zu kriminellen Handlungen. Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel geben: In Honduras werden bezahlte Morde oft von zwei Männern auf einem Motorrad verübt: Der eine fährt und der andere schiesst mit einer Waffe. Deshalb verbot ein Gesetz, dass zwei Männer auf einem Motorrad fahren. Ein Mann und eine Frau auf einem Motorrad, ist jedoch nicht verboten. Organisierte Verbrecher trainieren deshalb Frauen, damit diese auf einem Motorrad mit einer Waffe schiessen können. Die Regierung wiederum ist auf solche Fälle nicht vorbereitet. Wenn die Frauen erwischt werden, gehen sie ins Gefängnis und verlieren ihre Familie. Sie erhalten keinerlei Unterstützung.

Wer sind die NGOs in Honduras, die für die Rechte der Frauen kämpfen? Und was verlangen sie?

Ein Beispiel ist die Nationale Kampagne gegen Femizide (Tribuna contra los Femicidios). Wie der Name schon sagt, ist dies ein NGO-Netzwerk gegen Femizide. Die Mitgliederorganisationen führen Studien durch, die zeigen, dass die aktuelle Gesetzgebung nicht zielführend ist. Sie leisten auch viel Lobbyarbeit, um das Bewusstsein in der Öffentlichkeit zu schärfen.

Kannst du noch ein wenig mehr über diese Femizide sagen? Wer sind die Täter und warum?

In Honduras leben wir in einer patriarchalischen Gesellschaft. Es handelt sich um Hassverbrechen. Dieser Patriarchismus wird von der Kirche und den Medien genährt und manifestiert sich in Form von Machogehabe. Wir hören zum Beispiel viel von Frauen, die in grossen Unternehmen arbeiten, deren Arbeitsrechte verletzt und die auch mussbraucht werden . Sie erhalten keine Hilfe, denn die Institutionen, die ihnen helfen sollten, unterstützen sie nicht. Im Gegenteil, manchmal misshandeln auch diese Institutionen die Frauen! Es handelt sich um ein strukturelles Problem.

Ende 2018 und Anfang 2019 erregten Menschen-Karawanen auf ihrem Weg von Lateinamerika in die USA grosses Medieninteresse. Wie steht es um die Situation der Frauen in diesen Karawanen?

Viele Frauen fliehen mit ihren Kindern, um der Gewalt zu entkommen. Sie wissen, dass dieser Weg gefährlich ist, aber das Risiko, in ihren Gemeinden zu bleiben, ist grösser. Die Regierung in Honduras, sowie andere mittelamerikanische Länder, verfügen über kein gendergerechtes Programm, um den spezifischen Bedürfnissen der Frauen auf diesem Weg entgegenzukommen. Ein Beispiel sind die Notfallsets: Diese enthalten Zahnpflegeprodukte und andere wichtige Dinge. Artikel für menstruierende Frauen fehlen jedoch völlig.

Ein weiteres wichtiges Thema ist die Stigmatisierung. Als die Karawane im November 2018 in San Pedro Sula begann, kriminalisierte die Regierung die Familien und insbesondere die Frauen, die sich auf den Weg machten. Sie beschuldigten sie, ihre Kinder in Gefahr zu bringen. Die eigentliche Frage sollte jedoch sein: Warum wollen sie weg? Warum gehen sie dieses Risiko ein?

Ist die Situation der Frauen in den letzten Jahren schlechter oder besser geworden?

Die NGOs arbeiten sehr hart. Ohne die Unterstützung der Regierung wird es jedoch keine Veränderung geben. Ich habe in den letzten 10 Jahren in Honduras keine Fortschritte in Bezug auf die Frauenrechten gesehen.

Wie können wir als Schweizer NGO helfen?

Die Schweizer NGOs können lokale Aktivistinnen und Aktivisten stärken und sie können die Kapazitäten der lokalen NGOs verbessern.

Warum kämpfen Sie persönlich für die Rechte der Frauen in Honduras?

Ich bin Anwältin und schon meine erste Arbeit war bei einer lokalen NGO, die Frauen unterstützt, welche Gewalt erlebt haben. Ich denke, dass wir mit dieser Arbeit eine bessere Welt schaffen können, auch wenn wir uns auf ein bestimmtes Thema fokussieren. Darüber hinaus glaube ich an das Gute im Menschen und denke, dass lokale NGOs sehr wichtig sind. Sie haben das lokale Wissen und sie stellen unsere inaktive Regierung in Frage.

Gibt es etwas, das Sie hinzufügen möchten?

Ja, vielleicht einen Punkt: Für die Zivilgesellschaft ist es sehr wichtig, innovativ zu bleiben und mit der Jugend zu arbeiten. Die Jugendlichen sind es, die die Zukunft gestalten. Darüber hinaus sollten wir nicht vergessen, auch junge Männer miteinzubeziehen. Um die Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen, müssen wir mit Frauen und Männern arbeiten.

Interview mit Edna Ortega, Koordinatorin Honduras bei Brücke – le pont edna.ortega@bruecke-lepont.org Interviewerin Amélie Lustenberger, Communications Officer at swisspeace amelie.lustenberger@swisspeace.ch