Politische, rechtliche, wirtschaftliche und soziale Entwicklungen in Honduras erschweren zunehmend die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Auf Initiative von Peace Watch Switzerland (PWS) und HEKS/EPER und mit Unterstützung von fünf weiteren Schweizer NGOs sowie der DEZA startete das KOFF in Honduras einen gemeinsamen Lernprozess, um eine partizipative und differenzierte Analyse der honduranischen Zivilgesellschaft und ihrer Handlungsspielräume zu erarbeiten sowie gemeinsame Strategien zum Schutz und zur Erweiterung dieser Räume zu entwickeln. Angesichts der  Herausforderungen ist ein solcher Prozess, der über die Programmarbeit hinausgeht und innovative Ansätze und Synergien fördert, von grosser Bedeutung.

Handlungsspielräume für die Zivilgesellschaft sind unabdingbare Grundlagen für eine wirkungsvolle und nachhaltige Entwicklungs- und Friedenspolitik. Dazu gehören der Zugang zu Informationen, die freie Meinungsäusserung, die Partizipation an politischen Prozessen, die Versammlungsfreiheit und der gewaltfreie Protest. Zahlreiche Studien belegen, dass genau dieser Spielraum in den vergangenen Jahren weltweit schrumpft. Seit dem „arabischen Frühling“, der das Potential von Zivilgesellschaft verdeutlichte, erliessen immer mehr Regierungen Gesetze, um staatskritische Dynamiken inzudämmen. Legitimiert durch den „Krieg gegen den Terror“ werden demokratische Grundrechte entzogen, obwohl die Bedeutung von Zivilgesellschaft in der internationalen Zusammenarbeit immer wieder betont wird. Die Gesetzgebung ist aber nur ein Teil des Problems. Zivilgesellschaftliche und insbesondere Menschenrechtsorganisationen erfahren systematische Stigmatisierungen und Diffamierungen in der Öffentlichkeit, Drohungen sowie physische Gewalt bis hin zu Ermordungen.

Auf Initiative von PWS und HEKS/EPER und mit Unterstützung von fünf weiteren Schweizer NGOs sowie der DEZA in Honduras startete das KOFF im Frühjahr 2015 einen gemeinsamen Lernprozess in diesem Land. Basierend auf einer von ACT Alliance entwickelten Methode wurde ein lokaler Prozess angestossen, um eine partizipative und differenzierte Analyse der honduranischen Zivilgesellschaft und ihrer Handlungsspielräume zu erarbeiten sowie gemeinsame Strategien zum Schutz und zur Erweiterung dieser Räume zu entwickeln. Zwei Workshops, Einzelinterviews, Fokusgruppen sowie ein elektronischer Fragebogen dienten als Werkzeuge, um die Erfahrungen möglichst vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen einzuholen.

Bereits während der empirischen Erhebungen wurde deutlich, wie gewaltig die Herausforderungen in Honduras sind: Bauernkollektive berichteten von brutaler Gewalt im Rahmen der Landkonflikte mit Regierung und Unternehmen, Medienschaffende verwiesen auf den gesetzlich eingeschränkten Zugang zu öffentlicher Information, Frauengruppen erzählten vom Verbot, Opfern häuslicher Gewalt öffentlich beizustehen und Menschenrechtsorganisationen kritisierten die totale Schutzlosigkeit von bedrohten Personen aufgrund der Korruption der Behörden und der Straflosigkeit von rund 96%. Die Mehrheit der Befragten sieht keine Möglichkeit, ihre Anliegen und Rechte umzusetzen und spricht von einem „gepanzerten Staat“, der im Interesse der nationalen und transnationalen Eliten agiert und den Boden für ein neoliberales Entwicklungsmodell bereitet. Aus dieser Perspektive werden diverse rechts- und sozialstaatliche Garantien lediglich als Hindernis zur Maximierung von Renditen gesehen und zunehmend abgeschafft. In zugespitzter Form ist dies in den wirtschaftlichen Sonderentwicklungszonen zu beobachten, in denen die honduranische Verfassung ausser Kraft gesetzt ist. Diese Dynamiken haben sich seit dem Staatsstreich 2009 intensiviert und fördern die massive kriminelle Gewalt, die den Alltag prägt und ein ernsthaftes Sicherheitsrisiko darstellt. So haben sich die Mordfälle seit 2008 fast verdoppelt und gipfeln seit 2012 in der höchsten Mordrate weltweit. Die sozialen Organisationen in Honduras scheinen von diesen Entwicklungen überrannt. Zwar leisten sie Widerstand, bleiben aber oft reaktiv, fokussieren auf die Verteidigung sektorieller Rechte oder überhaupt auf ihre Existenzsicherung und den Schutz ihrer Mitglieder. Die Folge ist eine deutliche Schwächung der ohnehin stark fragmentierten Zivilgesellschaft. Zudem entsteht zwischen der inhaltlichen Kritik an der internationalen Zusammenarbeit und der gleichzeitigen Abhängigkeit und Lonkurrenz um deren Gelder ein Spannungsfeld, in dem Organisationen schnell als „zu regierungsnah“ auf der einen Seite und „zu links“ auf der anderen Seite abgestempelt werden. Ein sachlicher Dialog, der Verständnis und Vertrauen fördern könnte, findet kaum statt. Damit fehlt die Basis für eine gemeinsame, strategische und langfristige Vision.

An diesem Punkt setzt der gemeinsame Lernprozess ein, was ein grosses Potential, aber auch Herausforderungen bedeutet. So schafft die gemeinsame Analyse zwar Raum für Austausch und gegenseitiges Verständnis, bedingt aber ein Vertrauen, das durch solche Räume erst geschaffen werden muss. Aufgrund von Misstrauen und Sicherheitsbedenken wurde die elektronische Umfrage beispielsweise kaum beantwortet. Erst der bilaterale Kontakt durch eine vertraute Person und vermehrte direkte Begegnungen machten die umfassende Datenerhebung möglich. Der langjährige und enge Kontakt der Schweizer NGOs in die honduranische Zivilgesellschaft machte sich hier bezahlt. Ein weiteres Dilemma besteht darin, dass gemeinsame Strategien zwar von Synergien und dem Wissen verschiedener Akteure profitieren, jedoch ineffektiv bleiben, solange die Zivilgesellschaft mit den existentiellen Bedrohungen zu kämpfen hat, die durch diese Strategien erst angegangen werden können. Ein trauriges Beispiel dafür ist der Mord an Berta Cáceres, die sich mit ihrer Organisationen COPINH für Land und Rechte der indigenen Bevölkerung in Honduras eingesetzt hatte. Die Umstände dieses Verbrechens sind emblematisch für die Situation: Der Mord trotz Schutzmassnahmen der Interamerikanischen Menschenrechtskommission, die Spekulationen rund um das Tatmotiv in den Medien oder die unmenschliche Behandlung des Zeugen Gustavo Castro Soto durch die honduranischen Behörden.

Angesichts dieser enormen Herausforderungen ist ein gemeinsamer Lernprozess, der über die Programmarbeit hinausgeht und innovative Ansätze und Synergien fördert, von grosser Bedeutung – als Planungsgrundlage für die beteiligten Organisationen, als Basis für politische Lobbyarbeit im Sinne einer konfliktsensiblen Friedens- und Entwicklungsarbeit und als positiver Impuls in einem langfristigen Transformationsprozess zu mehr Frieden und Gerechtigkeit in Honduras.