Eröffnung der vierten Weltfrauenkonferenz in Beijing, 04. September 1995, Milton Grant / UN Foto
Interview mit Flurina Derungs flurina.derungs@1000peacewomen.org Geschäftsleiterin, PeaceWomen Accross the Globe (PWAG) Interviewerin Christina Stucky, PeaceWomen Accross the Globe (PWAG) christina.stucky@1000peacewomen.org Leiterin der Kommunikation

20 Jahre UNO-Sicherheitsratsresolution 1325 «Frauen, Frieden und Sicherheit», 25 Jahre Beijing-Deklaration und -Aktionsplattform zu Frauenrechten und Geschlechtergleichstellung: Damals wurde die Verabschiedung dieser Instrumente gefeiert, wo stehen wir heute? Interview mit Flurina Derungs, Geschäftsleiterin von FriedensFrauen Weltweit.

Gibt es heute Grund, die Jubiläen dieser internationalen Instrumente zu feiern?

Nein. Diese Dokumente wurden in den «goldenen 90er Jahren» verabschiedet, als vieles möglich war. Das war die Zeit, in der Frauenrechte als Menschenrechte anerkannt wurden. Die Balkan-Kriege und der Ruanda-Genozid machten die Gewalt gegen Frauen als Kriegswaffe so sichtbar, dass der UNO-Sicherheitsrat mit der Verabschiedung der Resolution 1325 «Frauen, Frieden und Sicherheit» handelte. Auch in der Schweiz fällt das Gleichstellungsgesetz, der straffreie Schwangerschaftsabbruch oder die Offizialisierung der häuslichen Gewalt in diese Zeit. Die 1995 verabschiedete Beijing-Deklaration und -Aktionsplattform (BDAP) war ein visionäres Dokument. 20 Jahre später war jedoch offensichtlich, dass diese goldene Zeit vorbei war. Ich war 2015 dabei, als die UNO deren Umsetzungsstand beurteilte. Ein Abschlussdokument wurde bewusst nicht verhandelt, aufgrund der Gefahr, dass Beijing+20 hinter 1995 zurückfallen könnte. Es gibt einzelne Fortschritte, aber wir sind heute leider nicht viel weiter.

Was sind die wichtigsten Errungenschaften dieser Instrumente?

Die Resolution 1325 ist ein Meilenstein der internationalen Friedenspolitik. Sie anerkennt Gewalt an Frauen als Kriegswaffe und verurteilt sie. Sie verlangt, dass die Anliegen von Frauen in Friedensabkommen berücksichtigt werden und dass sie in Friedensprozessen partizipieren müssen. Aber eigentlich sind die BDAP und die Resolution 1325 Teil eines Pakets an Frauenmenschenrechten, das auf die UNO-Frauenrechtskonvention CEDAW von 1979 zurückgeht. Weil damals Gewalt gegen Frauen als Privatsache galt, beinhaltet CEDAW nichts dazu. Erst dank der Frauenbewegung und Advocacy-Arbeit wurde Gewalt gegen Frauen zu einem öffentlich diskutierten Thema. Die Resolution 1325 steht in diesem Kontext.

Welche Errungenschaften gehen spezifisch auf Beijing zurück?

In Beijing wurde das Konzept des Gender Mainstreaming lanciert. Dank der BDAP spielen Geschlechtergleichstellung und das Empowerment von Frauen in der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung eine transversale Rolle und haben ein eigenes Ziel. Die Care-Arbeit von Frauen wurde in Beijing als kritischer Faktor für Entwicklung und Frieden anerkannt.

Woran erkennst du die Errungenschaften und die Herausforderungen in deiner Arbeit?

Die Arbeit von FriedensFrauen Weltweit basiert auf diesen Menschenrechtsinstrumenten. In unserem Netzwerk stehen verschiedene Frauen für diese zunehmende Partizipation von Frauen an Friedensprozessen, beispielsweise die Philippinerin Miriam Coronel Ferrer. Sie war die erste Chefunterhändlerin eines Friedensabkommens.  2014 unterzeichnete sie das Friedensabkommen zwischen der Regierung und der Islamischen Befreiungsfront der Moros mit.  Die Partizipation von Frauen in Friedensprozessen ist aber noch weit entfernt von 50:50. Die UNO-Studie, die Friedensverhandlungen zwischen 1998 und 2018 analysierte, zeigt, dass Frauen nur 3% der Mediator_innen und 4% der Unterzeichnenden ausmachten.  Eine rein numerische Vertretung der Frauen gewährleistet jedoch nicht ihre substanzielle Partizipation in Friedensprozessen oder die Umsetzung von Gender-Vorgaben in Friedensabkommen. Zudem hat die im Kontext der 9/11-Angriffe entstandene «Prävention von gewalttätigem Extremismus» dazu geführt, dass die «Frauen, Frieden, Sicherheit»-Agenda gekapert wurde. Auch das hat der Geschlechtergerechtigkeit einen Rückschlag versetzt.

Wo steht die Schweiz mit ihrer Umsetzung dieser Instrumente?

Mit den eingangs erwähnten Gesetzesänderungen ist die rechtliche Gleichstellung von Frau und Mann praktisch erreicht. Häusliche Gewalt, Lohnungleichheit oder die unbezahlte Care-Arbeit sind nur drei der Bereiche, in denen diese Gleichstellung tatsächlich noch nicht erreicht ist. Die Schweiz hat sich international für ein eigenständiges Gender-Ziel und für eine transversale Verankerung der Geschlechtergerechtigkeit in der Agenda 2030 stark gemacht. Sie war eines der ersten von 84 Ländern, das einen Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Resolution 1325 verfasst hat und hat auch einen Beijing+25-Bericht über den Stand der Umsetzung ablegt. Aber die neue Botschaft zur Internationalen Zusammenarbeit enthält kein explizites Ziel mehr zur Geschlechtergerechtigkeit.

Wie beteiligt sich die Schweizer Zivilgesellschaft am Nationalen Aktionsplan (NAP) 1325?

FriedensFrauen Weltweit koordiniert zusammen mit KOFF und dem cfd die zivilgesellschaftliche Begleitung des nun 4. NAP mit dem Ziel, ihn bekannter und für die Friedensförderung in der Praxis relevanter zu machen. Wir versuchen im Dialog mit dem Staat eine stärkere Verbindung zwischen Praxis und Politik herzustellen. In unserer Arbeit wird mir die Kluft zwischen solchen internationalen Dokumenten und dem Alltag von Frauen immer wieder bewusst.  Die Bedeutung dieser Dokumente ist unbestritten, aber diese Kluft ist frappant.

Welche Erkenntnisse hat die Coronapandemie zutage gefördert, die für diese Instrumente relevant sind?

Wer vor der Coronakrise benachteiligt war, war während der Krise noch benachteiligter. Die Krise hat die mehrfache und intersektionale Diskriminierung von Frauen und die massiven Ungleichheiten z.B. im Pflegebereich, aufgezeigt. Wir werden sehen, wo nun gespart wird. Die Finanzkrise von 2008 hat gezeigt: auf dem Buckel der Frauen.

Was haben diese Instrumente gebracht, wenn Frauen zu den Leidtragenden solcher Krisen gehören?

In den 60er Jahren hätte eine solche Krise wohl schlimmere Auswirkungen auf Frauen gehabt. Trotz der Fortschritte besteht aber weiterhin ein grosses Gefälle zwischen der rechtlichen und der tatsächlichen Gleichstellung. 2015 habe ich Hoffnung in die Agenda 2030 gesetzt. Heute bin ich etwas ernüchtert.

Das klingt nicht wie ein hoffnungsvoller Ausblick auf die Zukunft.

Es gibt Highlights: die MeToo-Bewegung, der Frauen_streik und der «Frauenrutsch» in den Wahlen. Die Initiative «Schweizer Recht statt fremde Richter», die sogenannte Selbstbestimmungsinitiative, zeigte, Menschenrechte müssen fortlaufend verteidigt werden. Als die Stimmbürger_innen 2018 die Initiative deutlich abgelehnt haben, zeigte das aber auch: Eine Zivilgesellschaft, die zusammensteht und die Bevölkerung mobilisiert, kann die Initiative eines finanzkräftigen Gegners zu Fall bringen. Gerade Themen wie Geschlechtergerechtigkeit und Frieden brauchen starke Frauenorganisationen und eine solidarische Zivilgesellschaft. Das macht mir Hoffnung.

Interview mit Flurina Derungs flurina.derungs@1000peacewomen.org Geschäftsleiterin, PeaceWomen Accross the Globe (PWAG) Interviewerin Christina Stucky, PeaceWomen Accross the Globe (PWAG) christina.stucky@1000peacewomen.org Leiterin der Kommunikation