Solidaritätsgruppe der Fastenopfer-Partnerorganisation DESECE, 2019 / Fastenopfer
Fastenopfer Romana Büchel buechel@fastenopfer.ch Ethnologin sowie Fachverantwortliche für Gender und Religion & Kultur

International fand der Konflikt im Westen Kenias vor 15 Jahren kaum Beachtung, doch die Zivilbevölkerung, und darunter besonders Frauen wie Mercy, leidet bis heute unter dessen Folgen. Das Fastenopfer-Programm Kenia ist in dieser Region tätig und unterstützt mehrere Partnerorganisationen auch bei der Stärkung der Frauen.

Die Geschichte von Mercy Chebet* ist nur eine unter vielen. Viele Frauen der Organisation Development Education Services for Comunity Empowerment (DESECE) erzählen von ähnlich tragischen Schicksalen.

Mercy lebt in Kenia und gehört der ethnischen Gruppe der Sabaot an: «Ich bin 47 Jahre alt und heiße Mercy Chebet. Zusammen mit meinen acht Kindern lebe ich im Westen Kenias. Ich bin Witwe.“  Ihre Vorfahr_innen wurden in den 1920er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts von der britischen Kolonialregierung enteignet, um das landwirtschaftlich nutzbare Land weißen Farmern zu geben. Die Sabaot wurden an den Ausläufern des Mount Elgon angesiedelt, wo sie auf die in höheren Regionen auf andere Volksgruppen stießen. Nach der Unabhängigkeit Kenias wurde in der Region ein Wildtierreservat gegründet, ohne Beteiligung der lokalen Gemeinschaften. Das ohnehin schon knappe Land wurde noch knapper. Weil sich die Sabaot durch mehrere Landumverteilungen und Umsiedlungen durch die Regierung benachteiligt fühlten, gründeten sie die Sabaot Land Defense Force (SLDF), eine ethnische Miliz.

2005 geriet der Konflikt ausser Kontrolle und die Zivilbevölkerung – so auch Mercys Familie – kam zwischen die Fronten. Auch ihr Dorf wurde nachts von den Milizen besucht, die Essen, Trinken, Geld und Kämpfer –  das heisst junge Männer und Söhne – verlangten. Tagsüber kam dann die Polizei und das Militär, um Informationen über die SLDF zu erhalten. Beide Konfliktparteien sanktionierten die Bevölkerung, wenn sie das Gewünschte nicht erhielten. Mercy beschreibt diese schwierige Zeit so: «Während der Zusammenstöße von 2005, die das Gebiet des Mount Elgon etwa drei Jahre lang erschütterten, wurden viele Menschen von der Sabaot-Miliz (SLDF) vertrieben oder getötet. Einige leisteten Widerstand und wehrten sich. Darunter war auch mein Mann; er wurde 2007 getötet. Unser Land und unsere Tiere wurden uns geraubt, unser Haus niedergebrannt. Als sich der Konflikt in der ganzen Region des Mount Elgon ausbreitete, floh ich mit meinen Kindern. Dadurch änderte sich mein Leben völlig.“

Der offene Konflikt dauerte von 2005 bis zur Niederlage der SLDF 2008. Während des gesamten Konfliktes schien die Regierung vor allem mit sich selbst beschäftigt gewesen zu sein. Allein in der vom kenianischen Militär geführten „Operation Okoa Maisha“ (euphemistisch zu übersetzen mit „Operation Lebensrettung“) sollen nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen bis zu 1’000 Menschen gefoltert worden sein. Doch auch nach der Beilegung des Konflikts, gestaltete sich das Leben der Überlebenden schwierig, sagt Mercy: «Nach der ‚Operation Okoa Maisha’ durch das kenianische Militär wurde die Sabaot-Miliz besiegt und gezwungen, in den Wald zu fliehen. Ich kehrte zwar nach Hause zurück, doch ich musste ein neues Leben beginnen. Ich hatte meinen Mann und alles andere verloren. Um zu überleben und mich und meine Kinder zu ernähren, begann ich mit Gelegenheitsarbeiten, die ‚Kibarua‘ genannt werden (Swaheli für „bezahlte Arbeit / Tagelöhner_in“). Die Kirche half mir zwar mit Nahrungsmitteln und Kleidung, aber das reichte nicht aus. Mein Leben nahm einen anderen Verlauf – ich vermisse mein früheres Leben.“

Mercy verlor wie viele Frauen in der Region aufgrund des Konfliktes ihren Ehemann. Heutzutage ist die Situation der Witwen im Westen Kenias noch sehr hart: Oft werden sie von der Familie des verstorbenen Mannes weiterverheiratet – mit allen auch psychischen und physischen Konsequenzen, wie Gewalt in der neuen Familie, auch sexuelle –, sie haben keinerlei Anspruch auf Land oder den Rest des Erbes. Obwohl die kenianische Verfassung ihnen diese Rechte zugesteht, verhindern traditionelle Wertvorstellungen deren Durchsetzung auf lokaler Ebene. Nicht von ungefähr erzählen viele Frauen wie auch Mercy davon, «notwendige Arbeiten» verrichtet zu haben, um über die Runden zu kommen. Damit implizieren sie vielleicht auch den Verkauf ihres Körpers.

Deshalb ist es umso wichtiger, dass Fastenopfer in der Projektarbeit die Stärkung der Frauen ins Zentrum stellt. Gerade in Konfliktregionen wie der beschriebenen sind stabile Strukturen in Gruppen und die Stärkung von verloren gegangenen Werten wie Solidarität und Vertrauen eine Grundvoraussetzung für die Arbeit an der Basis. Die 2020 aktiven 15 Solidaritätsgruppen, deren Mitglieder zu 75% aus Frauen bestehen, verrichten Gemeinschaftsarbeit auf den Feldern und werden in agrarökologischen Methoden ausgebildet, sodass Landwirtschaft trotz knappen Ressourcen für sie wieder eine Zukunft bietet. Gleichzeitig engagiert sich das Projekt in der Friedensarbeit, denn Konflikte um Ressourcen können – wie Mercys Geschichte eindrücklich zeigt – alles innert kürzester Zeit wieder zerstören.

*Name geändert

Fastenopfer Romana Büchel buechel@fastenopfer.ch Ethnologin sowie Fachverantwortliche für Gender und Religion & Kultur