Wandgemälde vom Künstler Akut in Amman, 2016 / Creative Commons
Netzwerk Istanbul Konvention Simone Eggler Koordinatorin

25 Jahre nach der Weltfrauenkonferenz in Peking hat die Gewalt an Frauen weltweit immer noch die Ausmasse einer Pandemie. Auch in der Schweiz ist die Gewalt, die Menschen aufgrund des ihnen zugeschriebenen Geschlechts erleben, weiterhin alltäglich und gehört zur normalisierten Erfahrung. Dies, obwohl in der Schweiz die staatlichen Anstrengungen gegen Gewalt teilweise tatsächlich intensiviert wurden und die Sensibilisierung und Enttabuisierung voranschreitet. Doch gerade das grössere Bewusstsein für Gewalt und der damit verbundenen Ungerechtigkeit wie auch das verstärkte Wissen über Angebote und Handlungsmöglichkeiten können dazu führen, dass das reelle Ausmass an Gewalt immer mehr ans Licht kommt.

Beziffern lässt sich das Ausmass nicht, da es bisher an Prävalenzstudien in der Schweiz fehlt. Dies soll sich nun aber ändern, da sich die Schweiz dafür verpflichtet hat. Denn: Zusätzlich zur Aktionsplattform von Peking und der UNO-Frauenrechtskonvention gilt in der Schweiz seit 2018 auch die sogenannte Istanbul-Konvention des Europarats. Mit dieser Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt an Frauen und Häuslicher Gewalt hat sich die Schweiz zu umfassenden und sehr konkreten Massnahmen gegen genderspezifische Gewalt verpflichtet. Die Konvention ist aber auch ein Instrument für die Gleichstellung aller Geschlechter, denn ohne Geschlechtergerechtigkeit keine Welt ohne Gewalt. Deshalb ist Gleichstellungsarbeit immer auch Gewaltprävention. Neben der staatlichen Anerkennung und praktischen Verpflichtung für diese urfeministische Analyse hat die Konvention zwei weitere grosse Potentiale: der holistische Ansatz und die Verpflichtung zu einer inklusiven und diskriminierungsfreien Umsetzung. Der ganzheitliche Ansatz verpflichtet zu umfassenden Massnahmen von Prävention – bspw. in Form von antisexistischer Arbeit zu Geschlechterstereotypen – über Beratung, Begleitung, Schutz und Strafverfolgung bis zu einem koordinierten Vorgehen. Dies stärkt insbesondere die Arbeit an den Wurzeln der Gewalt, sprich die Prävention, und soll einseitige Vorgehen, wie z.B. Reduktion auf Strafverfolgung, vermeiden. Die intersektionale Perspektive wiederum schärft das Bewusstsein dafür, dass Betroffene von Gewalt unterschiedliche Realitäten und Bedürfnisse haben und die Massnahmen und Angebote entsprechend vielfältig und betroffenenzentriert gewährleistet werden müssen. So müssen bspw. Präventionskampagnen auch LGBTIQ+-Perspektiven abdecken, Geflüchtete genauso Zugang zu spezialisierter Unterstützung erhalten oder Frauenhäusern die Barrierefreiheit finanziert werden. Auch die erwähnten regelmässigen Prävalenzstudien müssen, um die Istanbul-Konvention zu erfüllen, spezifische und präzise Daten zu Fragen wie sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität und -ausdruck, Behinderung, Aufenthaltsstatus etc. abdecken.

Diese inklusive und nichtdiskriminierende Umsetzung ist wohl die grösste Herausforderung – aber gleichzeitig auch die Gretchenfrage, wie ernst es die Schweiz mit dem Kampf gegen Gewalt meint. Denn nur wenn alle Gewaltbetroffenen geschützt und unterstützt werden und Geschlechtergerechtigkeit garantiert ist, kann eine gerechte und gewaltfreie Gesellschaft erreicht werden.

Netzwerk Istanbul Konvention Simone Eggler Koordinatorin