Das Local Resource Center – eine Dachorganisation von rund 1'000 Organisationen der Zivilgesellschaft (ZGO) – baut in Zusammenarbeit mit Helvetas Myanmar Kapazitäten von mehr als 300 lokalen ZGOs aus, die sich für ziviles Engagement einsetzen. Bild: Helvetas, Peter Schmidt

Die Organisationen, Helvetas Myanmar und das Local Resource Centre (LRC) unterstützen die Stärkung und den Kapazitätsaufbau von zivilgesellschaftlichen Organisationen (ZGO) in Myanmar. Das LRC setzt sich dafür ein, die kollektive Stimme der Zivilgesellschaft durch Kompetenzentwicklung, Dialog und Lobbyarbeit zu stärken. Helvetas engagiert sich in Myanmar in drei Kernbereichen: Kompetenzentwicklung, nachhaltige und integrative Wirtschaft sowie Governance und Frieden. Letzteres umfasst vor allem die Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Organisationen.

Wir haben Pansy Tun Thein, Exekutivdirektorin des LRC und technische Beraterin des Gender Equality Networks und Peter Schmidt, Helvetas Landesdirektor Maynmar nach der Rolle der Zivilgesellschaft in dieser jungen demokratischen Nation befragt.

SJ: Wie würden Sie den Zustand der ZGO in Myanmar beschreiben?

PS: Die Geschichte Myanmars wurde lange durch die Militärdiktatur geprägt. In den letzten vier Jahren haben wir jedoch eine kontinuierliche Demokratisierung erlebt. Erwähnenswert ist, dass selbst während der Militärdiktatur eine erstaunlich aktive Zivilgesellschaft in diesem Land existierte, und das ist auch heute noch der Fall. Es gibt eine geschätzte Anzahl von 10’000 lokalen zivilgesellschaftlichen Organisation, deren Aktivitäten sehr breit gefächert sind: von der Sauerstoffversorgung von Patienten, die ihre Haus nicht verlassen können, bis hin zu Menschenrechtsarbeit und Schutz der Umwelt. Wenn man Myanmar aus einer europäischen Perspektive betrachtet und die Vergangenheit des Landes kennt, würde man eine so lebendige Zivilgesellschaft nicht erwarten.

SJ: Welchen Herausforderungen waren ZGO ausgesetzt?

PTT: Die zivilgesellschaftlichen Organisationen in Myanmar sind seit vielen Jahren sehr aktiv in der Erbringung von Dienstleistungen, welche die Regierung vernachlässigt. Ein Gesetz von 1988, stellte die Nicht-Registrierung von ZGO allerdings unter harte Strafe. Dadurch wurde das Erbringen von solchen Dienstleistungen stark erschwert und ZGO ohne Registrierung drohten rechtliche Schritte.

Im Jahr 2013 führte das LRC eine Studie durch, die das Arbeitsklima in ZGO in Myanmar auswertet. Die Ergebnisse zeigten, dass alle ZGO eine Revision des besagten Gesetzes anstrebten. 2014 leitete das LRC – zusammen mit führenden Organisationen der Zivilgesellschaft und internationalen NGO – eine Überarbeitung dieses Gesetzes ein. Dies mündetet in einer erfolgreichen Zusammenarbeit mit der Regierung und endete mit der Verabschiedung eines neuen Gesetzes. Heute gibt es im Land über 10’000 lokale ZGO, darunter 3’500, die offiziell registriert sind. Der Rest arbeitet ohne Registrierung, aber die Regierung kann sie nicht rechtlich verfolgen, denn gemäss dem neuen geltenden Gesetz ist die Registrierung freiwillig.

SJ: Sind die ZGO immer noch aktiv, in der Erbringung von Dienstleistungen, die von der Regierung nicht erbracht werden?

PTT: Ja, das sind sie und zwar im ganzen Land. Denn es gibt immer noch erhebliche Lücken im öffentlichen Sektor. Beispielsweise im Gesundheits- und Bildungswesen bieten sowohl nationale als auch internationale NGO wichtige Dienstleistungen an. Insbesondere in abgelegenen Gebieten, in denen die Bevölkerung oft am stärksten betroffen ist, sind NGO präsent.

PS: Um ein Beispiel zu nennen: Viele der Krankenwagen in Myanmar werden von ZGO betrieben. Dies ist ein Beispiel für einen typischen öffentlichen Dienst, der von der Zivilgesellschaft in Myanmar übernommen wurde.

SJ: Wie wird die Beteiligung von ZGO an der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen von der Regierung wahrgenommen? Gibt es eine Form der Zusammenarbeit?

PTT: Grundsätzlich unterstützt die Regierung diese Art von Aktivitäten. Sie und die ZGO haben das gemeinsame Ziel diese Lücken zu schliessen und Ergänzen sich in dieser Hinsicht. Beispielsweise arbeiten mehrere NGO bei der Umsetzung des nationalen AIDS-Programms mit der Regierung zusammen. Die Bereitstellung antiretroviraler Behandlungen für die betroffene Bevölkerung wird hierzu zwischen dem Staat und dem NGO-Sektor nach geografischen Gebieten unterteilt.

PS: Man muss das auch in dem religiösen und politischen Kontext sehen. Die Mehrheit der Bevölkerung in Myanmar ist buddhistisch. «Gutes tun» ist sehr wichtig für ihre Reinkarnation. Es gibt eine grosszügige Mentalität, die tief in der Gesellschaft verwurzelt ist. Die Funktion der ZGO als Dienstleister die «Gutes tun» spiegelt die kulturelle Identität dieses Landes wider. Schauen Sie sich den World Giving Index an. Myanmar hat in den letzten vier Jahren den ersten Platz belegt.

Das klingt alles schön und gut, aber es ist nur ein Teil der Geschichte. Eine gemeinsame Studie von dem LRC und Helvetas aus dem Jahr 2017 zeigt, dass die Regierung die ZGO begrüsst, die dienstleistungsorientiert oder rein humanitär arbeiten. Sie ist aber viel kritischer gegenüber politisch aktiven NGO wie denen zur Förderung der Menschenrechte.

SJ: Welche Konsequenzen können das politisches Engagement von ZGO nach sich ziehen?

PTT: Die Meinungsfreiheit in unserem Land ist immer noch sehr stark eingeschränkt. Von einer demokratisch gewählten Regierung würde man mehr Freiheit für die Zivilgesellschaft erwarten, aber das ist und bleibt eine Herausforderung in Myanmar. Zum Beispiel besagt das Telekommunikationsgesetz von 2013 (Artikel 66 D), dass man wegen jeder Art von kritischer Äusserung gegenüber einem Dritten, insbesondere gegenüber der Regierung oder den Parlamentsmitgliedern, inhaftiert werden kann. Viele Menschen wurden auch nach dem Gesetz über rechtswidrige Vereinigungen (1908) inhaftiert. Es bestraft «jede Person oder Gruppe, die mit einer rechtswidrigen Vereinigung in Verbindung steht, Beiträge leistet, entgegennimmt oder um einen Beitrag zum Zwecke einer solchen Vereinigung bittet» mit einer Freiheitsstrafe.

Die Regierung sucht und arbeitet nur mit den ZGO zusammen, denen sie vertraut. Die Zivilgesellschaft muss kontinuierlich Advocacy betreiben und oft muss sie innovative Wege finden, um Zugang zu den Ministerien der Regierung und dem Parlament zu erhalten. Es bleibt also eine Herausforderung.

PS: Überraschend ist, dass der Artikel 66 (D) von der derzeitigen demokratisch gewählten Regierung häufiger angewendet wurde als von der ehemaligen quasi-militärischen Regierung. Eine Erklärung, die ich mehrfach gehört habe, ist, dass die derzeitige Regierung demokratisch gewählt wurde und dass es daher nicht notwendig ist, eine politisch engagierte Zivilgesellschaft zu schaffen.

SJ: Würden Sie sagen, dass Sie genügend Handlungsspielraum haben, um Einfluss zu nehmen?

PS: Da Helvetas den Schwerpunkt auf Landwirtschaft, Ökologie und Bildung legt, sind wir von Einschränkungen nicht betroffen und können unsere Projekte frei umsetzen. Wir engagieren uns in der Advocacy-Arbeit, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Rolle und Entwicklung der Zivilgesellschaft. Normalerweise äussern wir uns durch unsere lokalen Partner, typischerweise ZGO wie dem LRC, aber auch durch Partner aus dem privaten Sektor, und wir pflegen einen Dialog mit Regierungspartnern von der lokalen bis zur nationalen Ebene.

PTT: Die ZGO arbeiten oft über verschiedene Plattformen, die meist thematisch ausgerichtet sind (HIV/AIDS, Landsicherheit, ziviles Engagement, etc.). Diese verschiedenen Gruppen vereinigen sich und vertreten ihre Anliegen gemeinsam gegenüber der Regierung als auch gegenüber dem Parlament. Dies ist eine Möglichkeit, gemeinsam mit der Regierung zu arbeiten und gleichzeitig die einzelnen Organisationen und Personen zu schützen. Das LRC arbeitet als Dachnetzwerk mit über 1’000 ZGO, über mehrere regionale Büros, die sich meist in Konflikt- oder Post-Konfliktgebieten befinden und ist auch Vertreter der Plattform-Gruppe «Myanmar Civil Society Partnership for Aid and Development Effectiveness- MCPAD». Eine Plattform die den Organisationen die Gelegenheit bietet, Einfluss zu nehmen und ihre kollektive Stimme zu nutzen, um der Regierung und den Parlamenten ihre Anliegen mitzuteilen, insbesondere da das LRC Neutralität und konfliktfreie Ansätze fördert.

SJ: Das von Helvetas in Zusammenarbeit mit der Galerie Pansodan entwickelte Projekt «Open history – Art for Peace» fördert den Einsatz von Kunst als verbindendes Instrument für verschiedene Gruppen in der Gesellschaft. Wie wird das Projekt von der Öffentlichkeit und der Regierung wahrgenommen?

PS: Dies ist ein relativ junges Projekt, das von einem lokalen burmesischen Künstler initiiert wurde. Seine Überlegung ist, dass Menschen, die ihre Geschichte nicht gut kennen, Schwierigkeiten haben werden, ihre eigene Identität zu finden, was ein Faktor der Intoleranz gegenüber anderen sein kann. Seine Arbeit besteht darin, in einem bestimmten Gebiet alte Fotos zu sammeln, die Menschen zu Hause haben, um sie dann zu scannen, einzurahmen und dann eine öffentliche Ausstellung zu organisieren. Dieser für Myanmar einzigartige Ansatz wird als Raum genutzt, in dem verschiedene Gruppen der Gesellschaft (Frauen und Männer, verschiedene Religionen und Ethnien) zusammenkommen. Es weckt viel Begeisterung bei den Besuchenden, aber auch bei den lokalen Regierungsstellen, die diesen Ansatz unterstützen. Als wir kürzlich die letzte dieser Ausstellungen organisierten, bat uns der Hauptminister dieses Staates (Provinz) sofort, eine Auswahl der Fotos im Provinzmuseum zu präsentieren, wo die Bilder über einen längeren Zeitraum ausgestellt werden können. Das ist grossartig!

SJ: Gelingt es euch tatsächlich, Menschen mit unterschiedlichem sozialen, religiösen oder ethnischen Hintergrund zusammenzubringen?   

PS: Wir hatten letztes Jahr eine Pilotausstellung und zwei laufende Ausstellungen (im Oktober und November). Bisher waren wir sehr erfolgreich darin, Männer und Frauen sowie verschiedene Generationen zusammenzubringen. Das war relativ einfach. Wie gut wir eine positive Interaktion zwischen verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen erreichen werden, ist allerdings noch offen. Wir sind sehr positiv und optimistisch in Bezug auf diesen Ansatz und entwerfen – zusammen mit dem LRC – ein grösseres von der Europäischen Union finanziertes Projekt «Culture For Peace», das diesen Mechanismus nutzt, um verschiedene Gruppen in einem weitaus grösseren Umfang zusammenzubringen.