Projekt 'Open History – Arts for Peace'. Foto von Peter Schmidt

Myanmar ist eines der ethnisch vielfältigsten Länder der Welt. Seit seiner Unabhängigkeit hat das Land eine komplexe Reihe von Konflikten erlebt. Diese stellen eine grundlegende Herausforderung auf dem Weg zu mehr Frieden, Entwicklung und Demokratie dar. Der politische Spielraum ist immer noch sehr begrenzt und Misstrauen bleibt bestehen. HELVETAS Myanmar und die lokale Partnerorganisation Pansodan schaffen deswegen in ihrem Projekt ‘Open History – Arts for Peace’ Raum für Dialog, um Identitäten zu stärken und ein friedliches Zusammenleben zu fördern.

«Vertrauen», so fängt der burmesische Künstler Aung Soe Min an zu erzählen, «ist etwas, was es lange Zeit in Myanmar nicht gab. Dabei gibt es nichts Mächtigeres als Vertrauen – nichts, was mehr zu Harmonie, Beisammensein und Frieden beiträgt.» Fehlt Vertrauen, so kann jede Familie und Freundschaft, jedes Unternehmen und jeder Staat zerfallen.

Laut der People’s Alliance for Credible Elections (PACE) ist Vertrauen wissenschaftlich schwer zu fassen, es durchzieht aber gleichwohl das gesamte soziale Miteinander. Es ermöglicht dem Einzelnen, stärker zu sein, als er es allein wäre; es führt Menschen zusammen und bringt sie dazu, Empathie zu empfinden. Was so viele Jahrzehnte in Myanmar fehlte, ist schwer wieder herzustellen. Laut einer repräsentativen Studie, die PACE im Jahr 2018 in Myanmar durchführte, misstrauen 77% der Bürgerinnen und Bürger von Myanmar einander, mitunter massgeblich bestimmt von Ethnizität und Religionszugehörigkeit. Vertrauensbildung braucht Zeit. Genau um den (Wieder-) aufbau dieses Vertrauens und um das bessere Kennenlernen der „anderen“ geht es in dem Projekt ‘Open History – Arts for Peace’, welches auf einer Idee des in Yangon lebenden Künstlers und Gründers der Pansodan-Galerie aufbaut.

Geschichte gemeinsam erleben

In dem gemeinsamen dreijährigen Projekt wird so Raum für Dialog geschaffen, um Identitäten zu stärken, unterschiedliche Sichtweisen auszutauschen und somit ein friedliches Zusammenleben zu fördern. Kern sind sogenannte Open-History Ausstellungen in acht verschiedenen Regionen des Landes, bei denen sich Frauen, Männer und Jugendliche mit unterschiedlichen ethnischen und sozialen Hintergründen über ihre Geschichte austauschen können.

Um die Geschichten zu hören und Fotos für die Ausstellungen zu sammeln, reisen Aung Soe Min und zwei weitere Künstler in die Projektregionen und treten mit den Menschen in Kontakt. Aung Soe Min erklärt: «Manchmal kommt es vor, dass die Menschen verwundert sind, wenn wir sie nach ihrer Geschichte und nach alten Fotos fragen. Sie fragen uns, warum wir an ihnen als ganz normale Bürgerinnen und Bürgern interessiert sind und dass ihr Leben nicht spektakulär war. Aber genau hier knüpfen wir an: Bisher wurde immer nur die Geschichte von Königen und Generälen niedergeschrieben, aber nie die des Volkes. Was uns interessiert ist die Geschichte der ganz normalen Menschen, und wie sie die Vergangenheit wahrgenommen haben.»

In Vielfalt leben – Zusammenhalt gestalten

Gemeinsam werden so die Geschichten und Fotos für die anstehenden Ausstellungen gesammelt. Darüber hinaus werden Foto- und Videowettbewerbe lanciert, die Generationen näher zusammenbringen: Junge Menschen treten mit älteren in Kontakt und ermutigen sie, ihnen Geschichten aus der Vergangenheit zu erzählen. Die gesammelten Bilder und Videos werden im Rahmen der Open-History Ausstellungen dann einem breiten Publikum vorgestellt.

Etwa einen Monat vor jeder Open-History Ausstellung wird eine Kulturveranstaltung in den teilnehmenden Ortschaften organsiert, um der Öffentlichkeit die Idee zu erklären und Vertrauen zu schaffen. Bei den eintägigen Events werden die Bewohnerinnen und Bewohner eingeladen, zu einem bestimmten verbindenden Thema etwas beizutragen. Dies kann beispielsweise ein Wettbewerb unter Modedesignern sein, um traditionelle Kleidung für den täglichen Gebrauch zu fördern oder eine Modenschau im Rahmen eines Thanaka-Festivals. Thanaka ist ein natürliches Make-Up und Sonnenschutzmittel, welches aus der Rinde des Thanaka-Baumes gewonnen wird; es gilt als verbindendes Element aller Menschen Myanmars. Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen kommen so zusammen und erleben ihre Diversität in einem stimulierenden Umfeld. Was in Europa für normal gelten würde, ist in Myanmar einzigartig: Veranstaltungen wie diese gab es bisher kaum.

Ungefähr ein Monat nach der einführenden Kulturveranstaltung findet dann eine viertägige Open-History Ausstellung statt, bei der die gesammelten Fotografien, Geschichten und Videos ausgestellt werden. Um Missverständnisse zu vermeiden, wird darauf geachtet, dass jedem Foto eine Bildlegende hinzugefügt wird. Ausserdem werden die Materialien, welche Helvetas und Pansodan von der Bevölkerung erhalten, darauf geprüft, was für Botschaften sie enthalten: friedensstiftende Botschaften sollen vermittelt werden. Bisher wurden bereits drei Open-History Ausstellungen ausgeführt, das Feedback der Besucherinnen und Besucher war durchaus positiv. Aung Soe Min berichtet mit einem Lächeln: «Es ist so schön zu sehen, wie engagiert die Menschen sind, um ihre Vergangheit auf künstlerische Weise den anderen Besucherinnen und Besuchern zu erzählen. Und besonders glücklich macht es mich, dass andere Ortschaften, die nicht in der Zielregion unseres Projektes liegen, unsere Projektaktivitäten nachahmen und selbst Fotos und Geschichten sammeln, um sie der Nachbarschaft zu zeigen.»

Die Gedanken sind frei – Kunst als friedensförderndes Element

Während des gesamten Projektes wird so der Ansatz von ‘Arts for Peace’ genutzt, um Vertrauen und langfristig Frieden zu schaffen. Kunst kann in Konfliktkontexten auf unterschiedliche Weisen zur Friedensförderung beitragen. Sie kann die Widerstandsfähigkeit der im Konfliktkontext lebenden Menschen stärken und sie ermutigen, auch in schwierigen Situationen durchzuhalten, zum Beispiel, indem sie neue Wege finden, sich zu beschäftigen, indem sie wichtige kulturelle Identitäten pflegen, die ihnen Halt geben oder indem sie Kunst als Ventil nutzen, um ihrem Leid Ausdruck zu verleihen und Gewalt nicht mit Gegengewalt zu begegnen. Ebenso bietet Kunst eine Plattform für Menschen, ihre Meinung auszudrücken und sich gegenseitig zu unterschiedlichen Meinungen auszutauschen. Diese Plattform fördert den Dialog zwischen unterschiedlichen Identitäts- und Interessengruppen und trägt zu einer pluralistischen Kultur und friedlichem Zusammenleben bei. Kunst kann auch zu sozialem Wandel und Konflikttransformation beitragen, indem sie Menschen berührt, zu Perspektivenwechsel, zu tieferem Verständnis einer Situation oder zu anderen Reflexionsprozessen, zum Beispiel im Umgang mit ihrer Vergangenheit, oder in Bezug auf das aktuelle Konfliktgeschehen. In Verbindung mit Medien kann Kunst auch das Bewusstsein der Öffentlichkeit schärfen und so zu Transformationsprozessen beitragen. All dies tut die Kunst auf eine besondere Weise, die laut oder subtil sein kann, Menschen allerdings oft auf der Gefühls- und weniger auf der Verstandesebene anspricht und daher auch oft einem breiteren Publikum zugänglich ist. Somit kann Kunst auch in Kontexten, wo es schwierig ist, über einen Konflikt zu reden, Themen ansprechen und zu Reflexion und Verständigung beitragen.

Im Kontext von Myanmar ist das Element des Subtilen besonders wichtig: in einem Kontext, wo Meinungsfreiheit klein geschrieben wird, ist es notwendig, konfliktsensible, niederschwellige Mittel zu finden, um die Bevölkerung zu Austausch und Reflexion zu motivieren. Der gemeinsame Traum von Helvetas und Pansodan ist es, dass im ganzen Land Open-History Ausstellungen stattfinden werden und dass eines Tages Auszüge der Austellungen an einem Event am Rande der Friedensverhandlungen, die hoffentlich wieder in Gang kommen, gezeigt werden können, um so die Konfliktparteien direkt auf eine kreative Art und Weise zum Perspektivenwechsel anzuregen.

Erlebnisse miteinander teilen – das ‘Virtuelle Museum’

Die Open-History Ausstellungen finden in einem halbjährlichen Zyklus in verschiedenen Orten Myanmars statt. Das Projekt sieht vor, die ausgestellten Fotos, Videos und gesammelten Eindrücke in einem ‘Virtuellen Museum’, einer Website, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sodass alle voneinander lernen können. Indem die Beteiligten einander zuhören und gegenseitig Geschichten erzählen, tragen sie zu einer friedlichen Zukunft Myanmars bei.

Finanziert wird das Projekt aus Eigenmitteln und vom Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) im Auftrag des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland für das Jahr 2019.