Hauptstrassen in der Innenstadt von Yangon - Yangon ist eine der kulturell und religiös vielfältigsten Städte. Bild: Creative Commons
swisspeace Dr. des. Julia Palmiano Federer julia.palmianofederer@swisspeace.ch Program Officer

Die National League for Democracy (NLD), Myanmars erste demokratisch gewählte Zivilregierung seit Jahrzehnten, steht im Zusammenhang mit dem laufenden ethnischen Friedensprozess und der Krise im Rakhine-Staat vor enormen Herausforderungen. Die Bewältigung der sozialen Spannungen, wird für die Aufrechterhaltung der Stabilität im Land entscheidend sein, insbesondere im Vorfeld der nächsten Parlamentswahlen Ende 2020.

Die Bevölkerung Myanmars ist unglaublich vielfältig: Hunderte von ethnischen Nationalitäten mit unterschiedlichen Religionen, Sprachen und Geschichten leben in einem Land. Ethnizität und Religion sind zentrale Identitätsmerkmale in Myanmar. Diese Identitätsmerkmale wurden jedoch in der gesamten Geschichte des Landes politisiert, insbesondere in der britischen Kolonialzeit, der frühen Unabhängigkeitsperiode und den Jahrzehnten unter Militärherrschaft.

Der laufende Friedensprozess, der darauf abzielt, den jahrzehntelangen Konflikt zwischen zahlreichen ethnischen bewaffneten Gruppen und dem Tatmadaw (Myanmars Militär) zu beenden, und die Bemühungen, Rohingya-Flüchtlinge zurück nach Myanmar zu repatriieren, werden von tief verwurzelten Spannungen behindert, die zwischen ethnischen, religiösen und sprachlichen Grenzen verlaufen. Der Kampf von ethnischen Nationalitäten für eine gleichberechtigte politische und wirtschaftliche Repräsentation hält das Land seit über 70 Jahren in einen bewaffneten Konflikt. Diese ethnischen Nationalitäten, die etwa 30% der Bevölkerung des Landes ausmachen und in ressourcenreichen Grenzregionen leben, engagieren sich seit der Unabhängigkeit Myanmars von den Briten 1948 politisch und militärisch für eine stärkere Repräsentation im buddhistischen Bamar-Mehrheitsland. Im Jahr 2015 wurde nach rund vierjährigen Verhandlungen zwischen acht ethnischen Gruppen und der Regierung Myanmars ein nationales Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet. Heute ist der laufende Friedensprozess Myanmars von Fragmentierung und Unsicherheit geprägt. Derzeit haben nur 10 von 21 bewaffneten ethnischen Gruppen das Abkommen unterzeichnet. Grosse bewaffnete Gruppen, die entlang der nordöstlichen Grenze operieren, gehören nicht dazu. Sie haben ihre eigenen Verhandlungen inmitten fragiler bestehender bilateraler Waffenstillstände aufgenommen. Es fanden drei grosse Friedenskonferenzen statt, die darauf abzielten, ein umfassenderes Friedensabkommen auszuhandeln. Eine Weiterführung dieser Gespräche erweist sich aktuell aber als extrem schwierig. Während der komplexe Friedensprozess andauert, sind die von den anhaltenden Konflikten betroffenen Gemeinschaften nach wie vor unsicher über die Zukunft des Friedens im Land.

Im Rakhine-Staat sind die sozialen Spaltungen zwischen Buddhisten_innen und muslimischen Rohingyas seit Jahrzehnten präsent. Hassreden und die Anti-Rohingya-Rhetorik von Hardlinern, die einflussreiche Mitglieder in der buddhistischen Mönchsgemeinschaft haben, verschärfen die angespannte Lage zusätzlich. In den Jahren 2016 und 2017 führten Angriffe der neu gegründeten Arakan-Rohingya-Heilsarmee auf Polizeiposten zu gross angelegten Razzien der Tatmadaw gegen Rohingya-Gemeinschaften im nördlichen Rakhine-Staat. Die unverhältnismässige Härte dieser Niederschläge führte zur Flucht von über 700’000 Menschen, ins benachbarte Bangladesch und verursachten eine massive Menschenrechts- und humanitäre Krise. Die derzeitigen Bemühungen der Regierung Myanmars, Rohingya-Flüchtlinge zurück nach Myanmar zu repatriieren, waren weitgehend erfolglos. Rückführungsversuche sind bei Hardlinern unbeliebt, und die Rhetorik um ihre Rückkehr wird innerhalb dieser Gemeinschaften oft politisiert.

Die zuvor erwähnten Probleme haben den politischen Reformprozess unter der Leitung der de facto-Führerin Aung San Suu Kyi und der NLD in Frage gestellt. Seit ihrem Erdrutschsieg im Jahr 2015 kämpfen Aung San Suu Kyi und die NLD darum, die extrem hohen Erwartungen nationaler und internationaler Akteure an den demokratischen Wandel zu erfüllen. Das langsame Tempo des Friedensprozesses hat aber dazu geführt, dass sich die Bürger und Bürgerinnen Myanmars über die Aussichten auf einen nachhaltigen Frieden Sorgen machen. Die Rohingya-Krise hat die sozialen Spannungen über den Rakhine-Staat hinaus, im ganzen Land verschärft. Internationale Kritik an Aung San Suu Kyi wegen der Untätigkeit ihrer Regierung im Rahmen der Rohingya-Krise und dem schrumpfenden Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft haben die Situation in Myanmar weiter verschärft. Aufgrund dieser Entwicklungen beschreiben viele Analysten_innen die bevorstehenden Wahlen 2020, als Wahlen vor dem Hintergrund einer tief gespaltenen Gesellschaft.

Trotz dieser Herausforderungen gibt es auch eine Vielzahl von Bemühungen auf nationaler, staatlicher und kommunaler Ebene, um das Land weg von der Spaltung hin zur Vielfalt zu führen. In Myanmar finden sowohl formelle als auch informelle Prozesse und Initiativen statt, die darauf abzielen, Vielfalt und sozialen Zusammenhalt im ganzen Land zu fördern. Dazu gehören interreligiöse Dialoge, die Arbeit über Sprachbarrieren hinweg, der Kampf gegen Hassreden auf Facebook und anderen Social Media Plattformen und die Förderung eines stärkeren Austauschs zwischen verschiedenen ethnischen, sprachlichen und religiösen Gemeinschaften. Mehr denn je gilt es, das Bewusstsein zu schärfen und diese Initiativen zu unterstützen, die sich gegen spaltende Erzählungen richten und moderate Stimmen über die nationale Identität und die Bedeutung von Myanmar, insbesondere im Rahmen der Wahlen 2020, fördern.

swisspeace Dr. des. Julia Palmiano Federer julia.palmianofederer@swisspeace.ch Program Officer