Vertrauens- und Zuhörübungen. Foto von terre des hommes schweiz
terre des hommes schweiz Irene Bush irene.bush@terredeshommes.ch Themenbereich: Fachstelle für psychosoziale Unterstützung PSS

terre des hommes schweiz bietet eine Weiterbildung zum Thema «lösungsorientierter Ansatz» an. Auch ihre Partnerorganisationen arbeiten in der Friedensförderung mit dem psychosozialen Ansatz. Wie Menschen nach einem Konflikt eine gemeinsame Sprache finden und welche Ergebnisse der psychosoziale Ansatz erzielt, erklärt Irene Bush in diesem Interview.

Wie würden Sie den psychosozialen Ansatz beschreiben?

Beim psychosozialen Ansatz geht es um die Begleitung von Menschen, die durch traumatische Erlebnisse (z.B. Konfliktsituationen) handlungsunfähig geworden sind. Der Ansatz soll den Leuten helfen, Verantwortungsbewusst zu handeln, kluge Entscheidungen zu treffen, die zum Wohl des Einzelnen und der Gesellschaft beitragen sowie soziale Verantwortung zu übernehmen und gesunde soziale Kontakte aufzubauen und zu pflegen.

Was unterscheidet den psychosozialen Ansatz von anderen Herangehensweisen?

Im Gegensatz zu anderen Ansätzen, zieht der psychosoziale Ansatz in Betracht, dass jeder Mensch individuell ist und seine eigene Geschichte hat. Gleichzeitig berücksichtigt er aber auch, dass kein Mensch für sich alleine steht. Die Geschichte jedes Einzelnen wird kollektiv erlebt. Ich bin die Person die ich bin, weil ich in dieser Zeit lebe, in dieser Gemeinde und in diesem Land. Es ist somit eine ganzheitliche Perspektive. Durch den psychosozialen Ansatz gewinnen die Menschen neuen Lebensmut und finden mit kleinen Schritten einen Weg aus der Resignation. Sie erfahren Selbstwirksamkeit indem sie im Kleinen etwas verändern.

Der psychosoziale Ansatz ist also ein ganzheitlicher Ansatz, auch wenn er von den Einzelpersonen ausgeht?

Ja, weil er den Menschen als Ganzes betrachtet. Eine Gemeinde z.B. besteht aus verschiedenen Menschen, mit verschiedenen Verbindungen. Veränderungen und Teilprozesse betreffen immer jede Ebene. Wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir den Menschen anschauen, aber auch seine Gesellschaft und die Region, in der er lebt.

terre des hommes schweiz möchte mit dem psychosozialen Ansatz die sozialen Beziehungen wiederherstellen. Können Sie ein Beispiel nennen?

Ein Beispiel ist ein Projekt in El Salvador, wo wir Workshops mit Jugendlichen durchführen. Plötzlich konnten gewisse Jugendliche nicht mehr an den Treffen teilnehmen, da es ihren Eltern nicht gefiel, wenn sie mit Jugendlichen sprachen, deren Familie, während des Konflikts, der anderen Partei angehörten. Uns wurde somit klar, dass wir die ganze Familie in den Dialog miteinbeziehen müssen. Dadurch konnten wir ihnen zeigen, dass es bei den Gesprächen nicht darum geht, einen Schuldigen zu finden oder zu definieren, wer falsch und wer richtigliegt, sondern um einen Austausch darüber, was erlebt wurde und was dies bewirkt hat. Generell geht es darum, die Gegenwart und Vergangenheit zu verstehen, damit wir die Zukunft planen können. Um dies zu verwirklichen, nutzen wir die unterschiedlichsten Methoden aus dem psychosozialen Ansatz.

Ziel dieser Methoden ist es, eine innere Veränderung bei den Teilnehmenden hervorzurufen. Wie wirkt sich diese innere Veränderung auf deren Handlungen aus?

Cali, in Kolumbien ist eine Region, in der es sehr viel Gewalt gibt. Gemeinsam mit unserer Partnerorganisation arbeiten wir deshalb mit Jugendlichen, die in kriminellen Banden agierten. In Einzel- oder Gruppensitzungen diskutieren die Jugendlichen, was sie bereits erlebt haben und wie sie anderen Leid angetan haben. Danach wird ein Wiedergutmachungs- und Versöhnungsprozesse eingeleitet. Dieser Prozess schliesst mit ein, dass sich Jugendliche mit ihren ehemaligen Opfern treffen und aussöhnen, unter der Bedingung, dass diese einwilligen.

Wir haben jetzt gesehen, wie der psychosoziale Ansatz die sozialen Beziehungen verbessert. Wie wirkt sich dies auf Konfliktsituationen aus?

In Konflikten ist es oft schwierig eine gemeinsame Sprache zu finden. Wir versuchen dieses Schweigen zu durchbrechen, was sich positiv auf Konfliktsituationen auswirkt. Oft wissen vor allem die Jugendlichen sehr wenig über einen Konflikt. Doch wenn niemand darüber spricht, können die Geschehnisse eines Konflikts auch nicht verarbeitet werden. Wir verringern das Risiko, dass ein Konflikt wieder ausbricht, indem wir mit spielerischen oder künstlerischen Methoden (Malen, Musik, Theater) Räume schaffen, wo die Leute Vertrauensbeziehungen aufbauen können. Dadurch entsteht ein respektvoller Austausch über die Vergangenheit. Menschen, die einen Krieg erlebt haben, sind oft traumatisiert, was sich auf die nächste Generation überträgt. Dadurch entsteht eine Gesellschaft, in der nicht über Probleme gesprochen wird und die apathisch sowie von Aggressionen geprägt ist – ein Gewaltzyklus, den wir durchbrechen möchten. Die Leute lernen durch den psychosozialen Ansatz, dass es Alternativen zu Gewalt gibt. Personen, die oft Gewalt anwenden, sind meist hilflos, denn sie können sich nicht anders ausdrücken. Durch psychosoziale Ansätze lernen sie ihre Gefühle auszudrücken und zu trauern. In Gruppenprozessen erleben sie, dass sie nicht allein mit ihrem Schicksal sind. Durch den Austausch über traumatisierende Erfahrungen können sie die Selbst-Isolation und Blockaden überwinden.

Sie haben von einer gemeinsamen Sprache geredet. Können Sie genauer erklären, was damit gemeint ist?

Eine gemeinsame Sprache bedeutet nicht, dass die Parteien einer Meinung sein müssen, sondern es geht darum, dass man sich zuhört und würdigt was eine andere Person erlebt hat. Das Einfühlungsvermögen ist zentral.

Kann eine Aufarbeitung nicht auch gefährlich sein? Möglicherweise werden in einem solchen Verfahren alte Wunden aufgerissen und ein Konflikt wird wieder angeheizt?

Damit dies nicht geschieht, ist die Bereitschaft der Teilnehmenden grundlegend. Niemand darf zu einer Aufarbeitung gezwungen werden. Zudem sind klare Regeln und eine erfahrene Leitperson essentiell. Auch ein klarer Anfang und ein klares Ende des Prozesses sind wichtig. So können die Leute auch mit der Vergangenheit abschliessen und eine Zukunft planen.

Sie haben gesagt, dass die Bereitschaft der Leute ein wichtiges Element ist. Ist diese Bereitschaft mehrheitlich vorhanden?

Ja, ich denke schon. Wir arbeiten meist in schwierigen Gemeinschaften mit Jugendlichen. Dort finden wir grosse Zustimmung.

terre des hommes schweiz misst die Resultate dieser Projekte. Wie sieht eine solche Evaluation aus?

Wir definieren ein Ziel und schauen dann das Ergebnis an. Unser Evaluationsteam befragt Jugendliche, die an einem psychosozialen Training teilgenommen haben und vergleicht deren Antworten, mit denen von Jugendlichen, die kein Training absolviert haben. Die Evaluation ergab sehr erfreuliche Resultate: Jugendliche, die an einem Kurs für «lösungsorientierte Ansätze» teilgenommen haben, sind viel aktiver und beteiligen sich mehr in der Gemeinschaft. Sie zeigen mehr Einsatz in der Schule, sind weniger apathisch und kommunizieren besser. Auch ihr Allgemeinwissen ist grösser. Die Evaluation zeigt zudem, dass die Jugendlichen mit einer Veränderung an sich selbst beginnen und danach ihr Wissen und Können immer mehr mit ihrer Umwelt teilen.

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