Einem symbolischen Akt der "Madres de Soacha" vor dem Justizpalast in Bucaramanga, Santander 2011. Foto von PBI Kolumbien
Peace Brigades International Tanja Vultier tanja.vultier@peacebrigades.org

In Kolumbien hält die Gewalt an. Laut UNO-Angaben wurden 2017 mindestens 105 Menschenrechtsverteidiger_innen ermordet. Peace Brigades International (PBI) stärkt die Aktivisten_innen durch eine psychosoziale Begleitung.

Soziopolitische Gewalt wie diejenige in Kolumbien hat verschiedene psychologische, physische und soziale Effekte. Sie bewirkt – auch beabsichtigt – einen Bruch im sozialen Netz einer Gesellschaft und der Einzelpersonen. Dies auf verschiedenen Ebenen: Innerhalb der Familien, der Gemeinschaften oder auch der sozialen Bewegungen und Organisationen. Die individuellen Auswirkungen der konstanten Bedrohungen und Attacken können Angstzustände, Alpträume, Paranoia, Schuldgefühle, körperliche Beschwerden, Depression etc. beinhalten. Dies beeinträchtigt die Teilnahme am sozialen und politischen Leben erheblich und somit auch die Arbeit von Menschenrechtsverteidigern_innen. Frauen sind dabei oft besonders stark betroffen, da sie sich einer Mehrfachbelastung durch Familie, Beruf und (teils freiwilliger) Menschenrechtsarbeit ausgesetzt sehen. Vielmals sehen sie sich auch in der Verantwortung, die emotionalen Traumata der Familien- und Gemeinschaftsmitglieder, welche durch die konstanten Bedrohungen und Attacken entstehen, aufzufangen und die negativen wirtschaftlichen Konsequenzen der Stigmatisierung zu tragen. Ausserdem durchbrechen sie mit ihrem Engagement auch stereotypische Rollenbilder. Sie erleben zusätzlichen Stress aufgrund von Schuldgefühlen gegenüber der Familie, insbesondere, wenn sie von dieser und dem weiteren Umfeld auf Unverständnis stossen.

Dies kann als Konsequenz zu Aggressionen, Burnout, Abschottung oder generellem Misstrauen bei den betroffenen Personen führen. Auf sozialer Ebene folgen auf solche Verhaltensweisen dann Stigmatisierung, Polarisierung der Gesellschaft, Veränderungen im Wertesystem oder gar der Ausschluss aus dem politischen System. Diese unzähligen Formen psychischer und physischer Konsequenzen sind deshalb so besorgniserregend, weil sie die zwischenmenschlichen Beziehungen beeinträchtigen. Die Forschung und die Erfahrungen in der Arbeit zur mentalen Gesundheit zeigen, dass gute Beziehungen zu den Mitmenschen unsere psychische Widerstandsfähigkeit entscheidend stärken, nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch diejenige einer Gemeinschaft über mehrere Generationen hinweg. Daher arbeitet die psychosoziale Begleitung von Menschenrechtsverteidigern_innen immer auch mit einem kollektiven Ansatz. Dieser beinhaltet die Schaffung von Klarheit über die politische Situation sowie das nötige rechtliche Knowhow in Bezug auf die erlittenen Menschenrechtsverletzungen. Helfen können dabei Aktivitäten, die die Straflosigkeit und das Schweigen rund um Menschenrechtsverletzungen durchbrechen sowie das Wiederaufleben lassen von Traditionen und kulturellen Gewohnheiten. Dies stärkt einerseits das Selbstvertrauen sowie die Würde der einzelnen Personen und Gemeinschaften und andererseits die Beziehungen zwischen den Organisationen. Letztere versuchen, die Machtstrukturen der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Exklusion, welche ihrerseits die Gewalt verstärken, zu ändern.

Die therapeutische Arbeit mit den Gewaltopfern versucht das persönliche Leid in den grösseren Zusammenhang eines kollektiven Phänomens zu stellen. Auf diese Weise wird den Betroffenen klar, dass sie mit ihren Problemen und ihrer Situation nicht alleine sind und dass diese in einem bestimmten Kontext mit einem politischen Ziel stattfindet. Dies hilft ihnen, die Kontrolle über ihr Leben wiederzufinden und sich selbst als mögliche Akteure_innen ihrer Heilung, der kollektiven Hoffnung und eines sozialen Wandels zu sehen.

Daher verfolgt die psychosoziale Begleitung durch PBI ein zweifaches Ziel: einerseits die Menschenrechtsverteidiger_innen dabei zu unterstützen, mit den schwerwiegenden emotionalen Auswirkungen des jahrelangen Sicherheitsrisikos besser umzugehen und zweitens dadurch ihre Kapazitäten für die Verteidigung der Menschenrechte zu stärken. In Zukunft möchte PBI diese Art Begleitung auch in Mexiko, Guatemala und Honduras durchführen.

Peace Brigades International Tanja Vultier tanja.vultier@peacebrigades.org