Psychosoziale Lerngemeinschaft in Honduras 2017. Foto von Fundación Chasquis

Mit der Aussage im Titel begründete eine Teilnehmerin der psychosozialen Lerngemeinschaft in Honduras den psychosozialen Fokus ihrer langjährigen Arbeit. Trotz dieses kontinuierlichen und erfolgreichen Engagements an der Basis, rückte die psychosoziale Dimension in der Friedensförderung in den letzten Jahren in den Hintergrund. Die gesellschaftliche Transformation auf der strukturellen Makroebene, auch bekannt als «Peace Writ Large» stand lange im Zentrum. In Anbetracht der gewaltigen Herausforderungen auf globaler Ebene und im Rahmen der Suche nach innovativen Ansätzen erhält der psychosoziale Ansatz heute wieder mehr Aufmerksamkeit.

In der Schweizer Plattform für Friedensförderung KOFF kam das Thema im Rahmen des gemeinsamen Lernprozesses zum Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft in Honduras wieder auf. Gemeinsam mit Partnerorganisationen vor Ort organisierte KOFF im Sommer 2017 die psychosoziale Lerngemeinschaft für Menschenrechtsverteidiger_innen in Honduras. Die Bedeutung des psychosozialen Ansatzes für die Arbeit in konflikt- und gewaltgeprägten Kontexten wurde dabei auf drei Ebenen deutlich, die bereits in der Arbeitshilfe der DEZA zum Thema beschrieben werden:

a) psychosoziale Projekte
b) psychosoziale Organisationsgrundlagen
c) der psychosoziale Ansatz als Methode

Im Folgenden werden einige Erkenntnisse aus der psychosozialen Lerngemeinschaft in Honduras auf diesen drei Ebenen dargestellt, die auch für die weitere Arbeit von KOFF relevant sein werden.

Psychosoziale Projekte

In Honduras zeigte sich ein grosses Bedürfnis, sich in einer geschützten Gemeinschaft mit den alltäglichen Erfahrungen von Gewalt, Tod und Straflosigkeit auseinanderzusetzen. Wie in vielen konflikt- und gewaltgeprägten Kontexten, betreffen Gefühle wie Angst, Wut, Trauer und Ohnmacht die gesamte honduranische Gesellschaft. Diese kollektiven Erfahrungen erschweren die konstruktive Konfliktlösung und positive Veränderungsprozesse. Solche Gefühle anzuerkennen und ihnen Raum zu geben, ist ein erster Schritt, Menschen wieder handlungsfähig zu machen. In einem Video zur Lerngemeinschaft in Honduras beschreibt eine Teilnehmerin ihre Erfahrung folgendermassen: «Nachdem ich meine schlimmen Erlebnisse in diesem sicheren Raum teilen konnte, schmerzen die Erinnerungen zwar immer noch, aber sie können mich nicht mehr verletzen.» Die Selbstwahrnehmung eines passiven Opfers zu überwinden, ist eine der zentralsten Funktionen der psychosozialen Arbeit. Gleichzeitig legten die Teilnehmer_innen in Honduras viel Gewicht auf positive Aspekte: Es wurde viel gelacht, gespielt und getanzt. Dank Achtsamkeits- und Meditationslehren wissen wir, dass jene Bereiche verstärkt werden, auf die wir unsere Aufmerksamkeit lenken. Es ist daher entscheidend, auch in schwierigen Situationen positive Momente und Gefühle bewusst und ohne Schuldgefühle zu erleben. «Es ist die Ohnmacht, die uns krankmacht. Durch das Tanzen verbinden wir uns auf eine spielerische Art mit unserem positiven und transformativen Potential», erläuterte eine Workshop-Leiterin aus Honduras. Für die Friedensförderung ist es zentral, dieses Potential verstärkt zu nutzen.

Psychosoziale Organisationsgrundlagen

Im Sinne von Konfliktsensibilität und gesunden Arbeitsbedingungen, ist der psychosoziale Ansatz auch als Organisationsgrundlage von Bedeutung. In Konfliktgebieten und fragilen Kontexten bringt die alltägliche Konfrontation mit Gewalt und Zerstörung, die konstante Bedrohung der eigenen Sicherheit und ein gesellschaftliches Klima von Angst und Misstrauen Mitarbeitende an ihre Belastungsgrenzen. Dies kann sich negativ auf ihre Gesundheit und Arbeitsleistung auswirken. Der psychosoziale Ansatz dient hier sowohl als Analyseinstrument, als auch Handlungsanleitung. Die Lerngemeinschaft in Honduras machte jedoch deutlich, dass nur ein kontextspezifisches Konzept des psychosozialen Ansatzes zielführend ist. Kulturelle Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit und soziale Normen im Umgang mit Gefühlen prägen die Art und Weise, wie der psychosoziale Ansatz als Organisationsgrundlage verstanden und praktiziert wird. In der westlichen Hemisphäre finden Erkenntnisse aus der Neurologie und Konzepte wie Achtsamkeit, Meditation und Yoga vermehrt Eingang in die Arbeitswelt. In Honduras stehen hingegen die Weltanschauung und Riten der Maya sowie das in Südamerika entwickelte Konzept der Biodanza als Ressourcen im Vordergrund.

Der psychosoziale Ansatz als Methode

Eine weitere zentrale Erkenntnis aus Honduras für den psychosozialen Ansatz in der Friedensarbeit führt uns wieder an den Anfang dieser Ausführungen. In den Worten eines Teilnehmers der Lerngemeinschaft: «Man sagt, Honduras sei das gewalttätigste Land der Welt. Ich meine, in Honduras herrscht der gewalttätigste Kapitalismus weltweit.» Seine Aussage verweist auf die Notwendigkeit, psychosoziale Dynamiken immer im Zusammenhang mit den politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen zu analysieren. Armut, Gewalt und Zerstörung haben strukturelle Ursachen, die es anzugehen gilt. Dazu ist es wichtig, den psychosozialen Ansatz als Methode zu verstehen, die beispielsweise auch bei Initiativen zur Wirtschaftsförderung oder im Rahmen von Sicherheitssektorreformen systematisch zur Anwendung kommt. Das transformative und ermächtigende Potential des psychosozialen Ansatzes ist dabei entscheidend. Dazu steht in der Arbeitshilfe der DEZA: «Empowerment bedeutet also nicht nur, sich besser zu fühlen, weil man die eigene Lage verstanden hat, sondern auch, weil man etwas dagegen unternimmt, und eine echte Teilhabe am gesellschaftlichen Prozess entsteht, mit der realistischen Perspektive der Veränderung der vorherrschenden Machtstrukturen.» Durch den psychosozialen Ansatz können Menschen und Gemeinschaften aus unterschiedlichen Sektoren gestärkt werden, um die komplexen und langfristigen Prozesse des gesellschaftlichen Wandels hin zu Frieden und Gerechtigkeit aktiv mitzugestalten.