N° 146
Juli 2016
Rue de l’indépendance in Ségou (2008, Mali). Creative Commons/ Hughes
swisspeace Sidonia Gabriel sidonia.gabriel@swisspeace.ch Head, Policy & Platform

Die Umsetzung des im Juni 2015 unterzeichneten Abkommens für Frieden und Versöhnung in Mali bleibt eine Herausforderung. Viele Details sind noch ungeklärt und auf der politischen Ebene geht der Friedensprozess nur langsam voran. Gleichzeitig häufen sich Gewaltakte von extremistischen Gruppen sowie die Anzahl von gewaltsamen Konflikten zwischen und innerhalb von Gemeinschaften. Neben strategischer Geduld und internationalem politischen Druck ist es deshalb nötig, auf lokaler Ebene Ansätze zu entwickeln, die dem Friedensprozess neuen Schwung verleihen. Gerade in dieser Nische spielt die Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle.

Während die Umsetzung des Friedensabkommens in Mali nur zögerlich vorangeht, gewinnen andere Konflikte, die zwar im Abkommen nicht direkt behandelt werden, jedoch indirekt damit verbunden sind, an Gewicht. Beispiel dafür ist der ideologisch-ökonomische Konflikt zwischen säkularen und extremistischen Akteuren. Die Extremisten instrumentalisieren religiöse Motive, um ihre ökonomischen Interessen (z.B. den Drogenhandel) zu verfolgen und haben mit ihren Angriffen einen zunehmenden Einfluss auf die Sicherheitssituation. Zudem setzen sie die säkularen Parteien aus dem Norden, die das Abkommen unterzeichnet haben, unter Druck. Ein weiteres Beispiel sind die Konflikte zwischen und innerhalb von Gemeinschaften, die im Norden im Oktober 2015 zwar mit lokalen Versöhnungsabkommen teilweise gelöst wurden, jedoch immer wieder entflammen. Diese Konflikte, die nicht nur im Norden, sondern auch im Zentrum (wo sich z. B. in Mopti die Peul und Bambara bekämpfen) und im Süden stattfinden, sind zwar lokal begründet, lassen sich jedoch auch auf die teilweise schwachen staatlichen Institutionen sowie den Kampf um den Zugang zu Ressourcen und zu Einkommensquellen für den Lebensunterhalt zurückführen.

Was ist zu tun? Heute ist die effektive Umsetzung des Abkommens und das Zusammenspiel aller involvierten Parteien sowie der Zivilgesellschaft und der Bevölkerung in ganz Mali immer noch das beste Mittel gegen diese Entwicklungen. Gleichzeitig ist es wichtig, Ansätze zu entwickeln, welche die Zivilgesellschaft und die Bevölkerung als Ganzes einbeziehen, um den Frieden zu sichern.

Auf lokaler Ebene müssen alle betroffenen Interessengruppen und externen Akteure über existierende Dialog- und Versöhnungsforen Ansätze entwickeln, um Schulen zu betreiben, Gesundheitszentren zu erstellen und die Konflikte zwischen und innerhalb von Gemeinschaften zu lösen. So könnte man zum Beispiel kleinräumige und temporäre Versöhnungsabkommen mit lokalen Entwicklungsplänen kombinieren, die alle traditionellen und religiösen Autoritäten aber auch lokale Regierungsvertreter, Frauen und Jugendliche einbinden. Solche lokalen Abkommen, unterstützt und begleitet von internationalen Akteuren, würden keine Präjudiz schaffen für die politische Lösung auf nationaler Ebene, im Gegenteil: Aufbauend auf den bereits laufenden lokalen Versöhnungsbemühungen hätten sie zum Ziel, die unmittelbaren Bedürfnisse der Bevölkerung zu decken, ein Grundvertrauen in die Situation zu gewinnen und den Boden für nationale politische Lösungen einzelner offener Fragen vorzubereiten.

Die Umsetzung solcher Massnahmen ist aber nur möglich, wenn humanitäre, Friedens- und Entwicklungsarbeit Hand in Hand gehen mit einem umfassenden Verständnis von Sicherheit und alle Massnahmen einen konfliktsensiblen Ansatz beinhalten. Diese müssen also auf einer detaillierten und lokalen Konfliktanalyse beruhen, welche die Ökonomie der lokalen Konflikte erfasst: Letztlich werden Massnahmen vor allem dann erfolgreich, wenn illegalen Geschäften konstruktive, wirtschaftliche Anreize als Alternative entgegengesetzt werden können. Zudem sollten diese Massnahmen nicht nur im Norden ergriffen werden, sondern gleichwohl für das Zentrum und den Süden, wo lokale Entwicklungspläne teilweise bereits bestehen aber je nach Region kaum umgesetzt werden.

Die Zivilgesellschaft spielt bei einem solchen Ansatz eine wichtige Rolle: Dank ihrer Fähigkeit, unterschiedliche Akteure zusammen zu bringen, kann sie auf der lokalen Ebene bei der Aushandlung von kleinräumigen Massnahmen helfen. Gerade sie kann die Brücke schlagen zwischen dem politischen Prozess einerseits und den Bedürfnissen und dem Friedenspotenzial der Bevölkerung andererseits. Deshalb muss sie auch im Begleit- und Evaluationsausschuss des Friedensabkommens eine stärkere Rolle spielen, um es inklusiver zu gestalten und letztlich in der Gesellschaft zu verankern. Dennoch dürfen wir keine naiven Erwartungen an sie stellen, denn erstens muss zuerst geklärt werden, wer denn diese Zivilgesellschaft ist, und zweitens ist auch diese von Eigeninteressen polarisiert. Es stellt sich deshalb die Frage, ob und vor allem wie externe Akteure die lokale Zivilgesellschaft nicht nur als „Implementiererin“, sondern als Akteurin mit einer Vision und starkem Engagement unterstützen können.

Wollen die internationalen und nationalen Akteure konfliktpräventiv arbeiten, müssen sie zudem ihre Aufmerksamkeit auch auf Konflikte in anderen Regionen Malis, z.B. den Süden, lenken. Die Beziehungen zwischen dem Staat und der Gesellschaft sind auch dort oft von Misstrauen geprägt. Staatliche Strukturen sind zwar vorhanden, jedoch sucht die Bevölkerung mehrheitlich bei traditionellen Autoritäten Lösungen für ihre Probleme. Die traditionellen Autoritäten spiegeln aber oft etablierte gesellschaftliche Machtstrukturen wider, die gerade den Jugendlichen oder marginalisierten Gruppen wenig Spielraum geben. Das Abgleiten von Jugendlichen in den gewaltsamen Extremismus hat tieferliegende Ursachen, die in den sozialen und ökonomischen Realitäten und in den bestehenden Machtstrukturen verankert sind. Konfliktprävention betreiben heisst also, bei diesen Ursachen anzusetzen.

Und schliesslich müssen alle internationalen Akteure versuchen, möglichst nahe am Kontext zu arbeiten: Kenntnisse des Kontextes, Flexibilität in der Umsetzung und die kreative Entwicklung von Lösungsansätzen mit der lokalen Bevölkerung zeichnen einen kontextnahen Ansatz aus. Diese Nähe birgt gerade im Norden und im Zentrum, wo jegliche Intervention von aussen ein potentielles Ziel für extremistische Gruppen darstellt, eine grosse Herausforderung. Umso unerlässlicher ist es, bei der Arbeit einen möglichst „leichten Fussabdruck“ zu hinterlassen. Auch hier kann die internationale, nationale und lokale Zivilgesellschaft eine tragende Rolle spielen.

swisspeace Sidonia Gabriel sidonia.gabriel@swisspeace.ch Head, Policy & Platform