N° 148
November 2016
Arbeiter beseitigen die Trümmer nach einem Doppel-Selbstmordanschlag der Extremistengruppe Al Shabaab auf das Village Restaurant in Somalias Hauptstadt Mogadischu. September 2013. AU-UN IST Photo / Stuart Price
IGAD, Security Sector Program Tuemay Aregawi Desta tuemay.aregawi@igad.int Leiter des Transnational Organized Crime Pillar

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 reagierte die internationale Gemeinschaft mit unerbittlicher militärischer Härte auf den Terrorismus und wählte den Ansatz der Terrorismusbekämpfung (Countering Terrorism, CT). Dennoch haben Terroranschläge und Todesfälle drastisch zugenommen und noch mächtigere Terrorgruppen sind entstanden. Heute werden mit dem Aufkommen des Ansatzes der Prävention von gewalttätigem Extremismus (Prevention of violent extremism, PVE) sogenannte „sanfte“ Alternativen vermehrt berücksichtigt. Die Frage ist, ob dies ein echter inhaltlicher Wandel oder eine rein semantische Verschiebung ist.

Internationale Organisationen und Geberländer haben sich seit den Anschlägen vom 11. September 2001 im Rahmen des weltweiten Kampfs gegen den Terror an verschiedenen Initiativen zur Terrorismusbekämpfung (CT) beteiligt. Dieser vereinfachte Ansatz betrachtet Terrorismus als eine Form krimineller und subversiver Aktivitäten gegen den Westen und seine Werte. CT-Praktiken führten jedoch zusehends zu schweren Verstössen gegen die Menschenrechte und das Völkerrecht. Gewisse Länder instrumentalisierten ausserdem CT-Massnahmen, um politische Gegner und Kritiker zum Schweigen zu bringen. Die Taten des US-amerikanischen Sicherheitspersonals im Gefängnis von Abu Ghraib im Irak, die weitverbreiteten illegalen Inhaftierungen und Überstellungen sowie jahrzehntelange Gefangenschaft ohne Verurteilung in Guantanamo zeigen deutlich, dass dieser Ansatz gescheitert ist. In den vergangenen Jahren haben Terroranschläge und Todesfälle drastisch zugenommen, noch mächtigere Terrorgruppen sind entstanden, die durch Terrorgruppen kontrollierten Gebiete sind gewachsen, die Anzahl ausländischer KämpferInnen, die sich Terrorgruppen anschliessen, hat stark zugenommen und Terroranschläge haben neue Höhepunkte der Grausamkeit und Perversion erreicht.

Da dieser Ansatz zunehmend als uneffektiv und kontraproduktiv angesehen wird, suchen EntscheidungsträgerInnen und SicherheitsberaterInnen nach Alternativen. Das ist im Kern die Erklärung für die Entstehung der Prävention von gewalttätigem Extremismus (PVE). Seit einigen Jahren steht PVE im Zentrum der Diskurse von Regierungen, internationalen Organisationen und nichtstaatlichen Akteuren.

PVE soll die strukturellen Ursachen und die verstärkenden Faktoren angehen, die den Missständen und dadurch dem gewalttätigen Extremismus zugrunde liegen. Bei diesem Ansatz sollen gefährdete Einzelpersonen und Gruppen sowie die frühen Anzeichen einer Radikalisierung identifiziert und die Risiken durch Engagement, Bildung und Gegendiskurse gemindert werden. PVE schreibt dem gesellschaftlichen Engagement, der Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen, den Partnerschaften zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren sowie der Notwendigkeit kontextspezifischer Massnahmen mehr Bedeutung zu. Die Haltung, „Ideologien werden nicht durch Waffen, sondern durch bessere Ideen besiegt“, findet zunehmend Zuspruch. Diese Art von „sanften“ Ansätzen ist eine relativ neue Entwicklung im CT-Bereich.

Gleichzeitig muss aber anerkannt werden, dass der Ansatz hauptsächlich Bereichen wie bürgernaher Polizeiarbeit, Gouvernanz, Risikomanagement, Sozialarbeit und Friedensförderung entlehnt ist. In dieser Hinsicht ist PVE kein Paradigmenwechsel im Kampf gegen den Terrorismus, sondern vielmehr eine anpassungsfähige Antwort auf neue Sicherheitsbedrohungen und die Herausforderungen des gewalttätigen Extremismus, die versucht, die eingeschränkte Wirkung der traditionellen CT-Strategien zu überwinden.

PVE ist allerdings mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert. Gewisse, mit PVE assoziierte Begriffe wie Extremismus oder Radikalisierung werden im politischen Diskurs und in der Praxis benutzt (meist selbstverständlich, aber ohne klare Definition), sind aber oft umstritten. Da „islamische“ Terrorgruppen unglücklicherweise stark verbreitet sind, wird die Interpretation und Verwendung von Begriffen zunehmend erschwert und oft mit dem Islam oder Muslimen assoziiert. Es gibt zudem keine klaren Indikatoren zur Identifizierung einer Radikalisierung oder Gefährdung einer Person. Eine fehlende Definition von PVE selbst erschwert eine praktische Umsetzung. Und was nicht definiert wurde und keine klaren Indikatoren aufweist, kann weder gemessen noch ausgewertet werden.

Problematisch ist auch, dass wenig Konsens darüber besteht, was genau Radikalismus oder Extremismus ausmacht, und dass eine Definition den Grundgedanken der Meinungsfreiheit verletzen könnte. Daher ist eine Einigung auf klare und messbare Standards zur Festlegung von Extremismus oder Radikalisierung schwierig. Extremismus ist ein relatives Konzept, das am besten (wenn auch vereinfachend) im Klischee „der Freiheitskämpfer für die einen ist ein Terrorist für die anderen“ ausgedrückt wird.

Schliesslich ist PVE die Antwort einer Gesamtregierung, an der viele Verwaltungseinheiten beteiligt sind und die Kooperation sowie Koordination erfordert, um die strukturellen Ursachen des Terrorismus anzugehen. Solch unterschiedliche AkteurInnen zusammenzuführen ist eine Herausforderung. Umso mehr trifft das aufgrund offensichtlicher politischer, wirtschaftlicher und kultureller Unterschiede auf die internationale Zusammenarbeit zu, die für PVE im Kampf gegen den Terrorismus als grenzüberschreitendes Phänomen unabdingbar ist.

Es kann wohl argumentiert werden, dass die Absichten von PVE grundsätzlich nicht falsch sind, auch wenn sich dadurch vor allem die Begriffe ändern, damit diese inklusiver sind und Fehleinschätzungen vermindert werden. Die Rolle von PVE wird trotz allen Herausforderungen dazu beitragen, die von CT verursachten negativen Wahrnehmungen zu beheben, jedoch nur, wenn PVE richtig umgesetzt wird. Wenn dieser Ansatz kontextspezifisch gestaltet wird, einen echten Miteinbezug der AkteurInnen sicherstellt und Regierungen (sowohl Geber als auch Begünstigte) sich den zentralen Werten verpflichten, kann PVE durch sanfte Massnahmen eine bedeutende Rolle bei der Prävention von Terrorismus spielen. Anderenfalls läuft PVE nur auf eine semantische Verschiebung hinaus anstatt auf einen tatsächlichen inhaltlichen Wandel.

Dieser Artikel ist eine leicht geänderte Version eines Artikels von Tuemay Aregawi Desta, der im Horn of Africa Bulletin (Januar-Februar 2016) veröffentlicht wurde.

IGAD, Security Sector Program Tuemay Aregawi Desta tuemay.aregawi@igad.int Leiter des Transnational Organized Crime Pillar